Energie vom Jahr 2050 her denken

Jan Berger

Jan Berger, Gründer & CEO Themis Foresight

Die Energiewende ist wohl die wesentlichste – wenn auch bei Weitem nicht alleinige – Säule zur Erreichung der Null-Emissionsziele bis 2050. Deshalb sollten wir sie aus dem Jahr 2050 heraus denken, uns nicht durch Quick Fixes leiten lassen oder aus dem heutigen Zustand heraus unüberlegte Signale senden.

Noch vor einigen Wochen verlautbarten Wirtschaftsforschungsinstitute und Politiker:innen, dass Energiepreise „dauerhaft“ oder „für immer“ über dem Niveau von vor dem Ukrainekrieg liegen würden. Woher sie diese Gewissheit nehmen, verschweigen sie zumeist. Doch das Signal an die Wirtschaft ist bisweilen fatal, denn energieintensive Unternehmen beginnen damit, ihre Produktion in Länder zu verlagern, wo Energie signifikant günstiger ist. Allein, unser Klima ist kein nationales, sondern ein globales Phänomen. Es kommt doch darauf an, Produktion klimaneutral zu gestalten und nicht dorthin zu verlegen, wo der Preis für Erdgas oder Strom billiger ist, gerade weil fossile Energie noch billiger ist als Erneuerbare.

Die nächsten Jahre werden der deutschen Wirtschaft sicher einen Wettbewerbsnachteil bei den Energiekosten bescheren. Der Grund: Alte Technologien wie Gas, Kohle und Atom wurden abgeschaltet, bevor erneuerbare Energien, deren Speicherung und Übertragung etabliert waren. Doch warum in eine Vogel-Strauß-Mentalität verfallen und von einem „dauerhaften“ Wettbewerbsnachteil sprechen? Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist doch, was wir wollen.

Wollen wir für immer LNG importieren? Oder wollen wir dauerhaft das Zulassungsverfahren für erneuerbare Energie-Anlagen auf unter einen Monat drücken und papierlos gestalten? Wollen wir für immer hinnehmen, dass sich Landesregierungen gegenseitig ausbremsen beim Bau von Energie-Netzen? Oder wollen wir nie wieder eine solche Regierung ins Amt wählen? Wollen wir uns im Dauerzustand in Verzicht üben? Oder wollen wir klimaneutrale Energie in Form von Strom, grünem Wasserstoff, e-Methan usw. skalieren – und zwar in einem Ausmaß, dass die Energiepreise auf die Hälfte des Vorkriegsniveaus fallen? Diese Fragen müssen wir beantworten und je nach Antwort besitzen wir alle Möglichkeiten, danach zu handeln und zu gestalten.

Nehmen wir an, wir wollten unsere Industriebasis erhalten und auf Klimaneutralität bis 2050 hinwirken, dann benötigt es aus der Politik Instrumente, die Langfristigkeit belohnen. Kurzfristige Incentivierungen produzieren oft ungewollte Ergebnisse wie die, dass Kraftwerke Pellets statt Kohle verheizen und dadurch Wälder in einem langfristig schädlichen Maße abgeholzt werden.

Doch nicht nur die Politik steht in der Pflicht, sondern auch Wirtschaftslenker:innen sind gefragt. Energie hat einen immensen EBIT-Hebel. Der kann kurzfristig betätigt werden, indem mit alten Technologien in Billig-Energie-Ländern weiterproduziert wird. Oder mittel- bis langfristig, indem investiert wird in klimaneutrale Produktionsverfahren oder klimaneutrale Produkte, die die alten, klimaschädlichen, ablösen. Auch hier müssen Sie sich die Frage beantworten, ob Ihre Bilanz die nächsten fünf Jahre gut aussehen soll und Ihr Problem auf den Moment vertagt ist, wo Ihre Wettbewerber klimaneutral günstiger produzieren als Sie oder ob sie heute schon die Zukunft Ihres Geschäfts sichern wollen, indem sie Ihre Innovationen auf Klimaneutralität fokussieren und in fünf bis zehn Jahren die Nase vorn haben.

Die Technologien, die klimaneutrale Energie produzieren, speichern und übertragen können und die, die für klimaneutrale Werkstoffe, Produkte, Lebensmittel und Dienstleistungen sorgen, sind fast alle schon da. Sie sind meist noch teurer als die alten. Doch werden sie skaliert, sinken ihre Kosten.

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