Ein Vierzigstel der Welt – oder: den Tatsachen ins Auge sehen

Ein Vierzigstel der Welt – oder: den Tatsachen ins Auge sehen

Die deutsche Energiedebatte beschäftigt sich in erster Line mit Fragen auf nationaler Ebene. Wichtigen Entwicklungen, die auf globaler Ebene stattfinden, wird dabei oft zu wenig Beachtung geschenkt. Dies hat verheerende Folgen: Durch die nach innen gerichtete Energiepolitik bringt die Bundesregierung die deutsche Energiebranche um die Möglichkeit einer flexiblen Energiestrategie. Dabei macht Deutschland gerade einmal ein Vierzigstel des globalen Energiemarktes und der globalen CO2-Emissionen aus.

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Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge finden Sie in der Januar-Ausgabe des Handelsblatt Journal Energiewirtschaft, das Sie HIER gratis herunterladen können.

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Ein Vierzigstel der Welt – oder: den Tatsachen ins Auge sehen

von Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge

Die deutsche Debatte über Energiefragen ist nach innen gewandt. Wichtige Entwicklungen auf der globalen Ebene werden nicht ausreichend berücksichtigt oder gar falsch eingeschätzt. Statt einer „Energiestrategie“, die flexibel auf veränderte Anforderungen und Rahmenbedingungen abstellt, verfolgt die Bundesregierung in einer Art dogmatischer Linientreue ein starres, auf Jahrzehnte im Voraus festgelegtes sogenanntes „Energiekonzept“. Szenarien über mögliche langfristige Entwicklungen werden politisch umgedeutet zu Plänen mit vorgegebenen Planzielen, deren exakte Erfüllung von der Politik gewährleistet werden muss – völlig unabhängig davon, wie die Welt sich dreht, und koste es, was es wolle. Planabweichungen führen unter keinen Umständen zu neuem Nachdenken über den eingeschlagenen Weg, sondern lediglich zur Rechtfertigung von immer weiter reichenden, dirigistischen Markteingriffen durch die Politik.

Dabei ist die Vorstellung, dass Deutschland erfolgreich Energiepolitik betreiben könne, ohne auf parallel verlaufende Entwicklungen in Europa und der Welt Rücksicht nehmen zu müssen, wahlweise naiv oder vermessen. Deutschland macht nur noch rund ein Vierzigstel des globalen Energiemarktes und der globalen CO2-Emissionen aus. Auch im Bereich der erneuerbaren Energien sind die globalen Anteile Deutschlands stark rückläufig, weil sich die wesentlichen Märkte für diese Technologien mittlerweile andernorts befinden. Daran können auch die fortgesetzten, immer noch beträchtlichen Staatsgarantien für den Aufbau dieser Technologien auf deutschem Grund und Boden nicht viel ändern.

Der globale Energiemarkt wird also zum größten Teil, und in zunehmendem Maße, von Entwicklungen geprägt, die außerhalb Deutschlands stattfinden oder zumindest andernorts ihren Ursprung haben.

Und diese Entwicklungen wirken auf Deutschland zurück – direkt über die dadurch veränderten Handlungsspielräume für die deutsche Energiewirtschaft und indirekt über die Stellung der deutschen Energieverbraucher im globalen Wettbewerb.

So hat beispielsweise die „Schiefergas- und -ölrevolution“ in den USA nicht nur eine Re-Industrialisierung in Amerika ausgelöst, sondern das Gefüge der globalen Öl- und Gasmärkte von Grund auf neu geordnet. Neben tiefgreifenden geopolitischen Machtverschiebungen folgt aus dieser Entwicklung vor allem eine nachhaltige Entlastung der Öl- und Gaspreise in der Welt. Eine der wesentlichen Säulen der deutschen Energiewendelogik – nämlich die Annahme schnell steigender Weltmarktpreise für fossile Energieträger – ist da-mit fürs erste hinfällig geworden.

Für die europäische Energiepolitik folgt daraus unter anderem: Der Druck, den politischen Rahmen für die europäische Energiewirtschaft auf Kosteneffizienz hin auszurichten, ist weiter gestiegen; ineffiziente CO2-Minderungsmaßnahmen beispielsweise kann Europa sich heute noch viel weniger leisten als vor fünf oder zehn Jahren.

Gewinnen werden im globalen Wettbewerb diejenigen Technologien, die sich – weltweit! – als wirtschaftlich erweisen, nicht diejenigen, die den Ministerialen in deutschen Amtsstuben oder den Delegierten auf deutschen Parteitagen am besten gefallen. Und gewinnen werden diejenigen Gesellschaften, die schnell und effizient auf neue technologische Möglichkeiten und auf veränderte globale Rahmenbedingungen reagieren können.

Mit dem europäischen Energiebinnenmarkt, einer bereits heute vergleichsweise stark integrierten Infrastruktur sowie mit unserer geographischen Nähe zu wichtigen Rohstoffproduzenten verfügt Europa eigentlich über hervorragende Voraussetzungen, um in diesem globalen Wettbewerb bestehen zu können. Doch mit der nationalen Kleinteiligkeit unserer Politik und mit 28+1 staatlichen Interventions- und Planungsbürokratien bringen wir uns zunehmend um die möglichen Früchte dieser Chancen.

Es wird also höchste Zeit, den Wettbewerb und das Unternehmertum im deutschen Energiemarkt zu stärken, am besten gleich im europäischen Kontext.

Und es wird Zeit, sich mit den globalen und europäischen Entwicklungen ehrlich und ergebnisoffen auseinander zu setzen – seien es Preisentwicklungen fossiler Energieträger, geopolitische Strukturverschiebungen und deren Konsequenzen oder weltweite technologische Trends.

Das gilt insbesondere auch für die Energiewirtschaft selbst, die ja weitgehend immer noch in den Strukturen der alten regulierten Gebietsmonopole denkt – die jüngste Ankündigung von E.ON, seine Geschäftsbereiche nach Geschäftsmodellen aufzuspalten, ist hier ja noch eher die Ausnahme als die Regel.

Alle jedenfalls, die darauf setzen, dass eine interventionistische Energiepolitik den Markt schrittweise wieder reregulieren wird, sodass im eigenen Unternehmen eigentlich alles beim Alten bleiben kann, sollten über eines nachdenken: Auch die deutsche Bundesregierung wird früher oder später auf europäische und globale Einflussgrößen reagieren müssen. Im Zweifel dann mit wirtschaftlicher Vernunft und (weiterer) Ertüchtigung des Wettbewerbs.

Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge„Gewinnen werden im globalen Wettbewerb diejenigen Technologien, die sich – weltweit! – als wirtschaftlich erweisen, nicht diejenigen, die den Ministerialen in deutschen Amtsstuben oder den Delegierten auf deutschen Parteitagen am besten gefallen.“  Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge

Der Autor:
Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge ist Direktor und Vorsitzender der Geschäftsleitung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln.