Ein Blick auf die Branche
Wer gehört dazu, wer nicht? Die Energiebranche, früher klar umrissen, franst nach allen Seiten aus. Big-Data-Experten, Teile der Wohnungswirtschaft, die bekannten IT-Riesen – sie alle mischen mit. Die einen noch zaghaft tastend, die anderen aggressiv und voller Ideen.
Dieser Prozess geht weiter. Es gehört nicht viel Fantasie zu der Annahme, dass Teile des Mobilitätssektors mit wachsender Bedeutung der Elektromobilität die Energiebranche künftig durcheinanderwirbeln werden.
Auf der anderen Seite stehen die Prosumer von übermorgen, die sich via Blockchain vernetzen, gegenseitig mit Strom beliefern und irgendwann gar keinen Intermediär mehr brauchen, der der Energiebranche zuzurechnen wäre.
Allerorten trifft man Manager, Politiker und Verbandsvertreter, die die Entwicklung neugierig und bisweilen verunsichert beobachten. Ist das alles nun mehr Chance oder mehr Risiko? Und kann das kleine Start-up, das eine clevere Idee bei der Vermarktung, beim Einsparen oder Verteilen von Strom vorantreibt, tatsächlich die Rettung für den etablierten Versorger darstellen?
Die Antworten auf diese Fragen kennen wir erst in ein paar Jahren. Aber niemand kann es sich leisten, einfach abzuwarten. Alles was smart, dezentral, digital und effizient ist, verdient bis dahin besondere Aufmerksamkeit.
Die Manager der Branche werden sich noch eine ganze Weile mit unsicheren Renditeaussichten und hohen Investitionsrisiken abfinden müssen. Hinzu kommt, dass es immer schwieriger wird, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Ein Teil der Probleme kommt von außen auf die Branche zu, ein anderer Teil ist hausgemacht. Untersuchungen belegen, dass viele Unternehmen der Branche sich nicht systematisch mit Innovationen befassen. Die Frage, wie man das Thema Innovationen vom Tagesgeschäft trennt, haben sich viele Unternehmen
offenbar noch gar nicht gestellt.
Einige müssen sich auch erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass es nicht immer sinnvoll ist, alleine nach Lösungen zu suchen. Kooperationen – branchenübergreifend oder branchenintern – werden oft ohne vernünftigen Grund ausgeschlossen. Das wird sich ändern müssen. In anderen Branchen gibt es in dieser Hinsicht weniger Berührungsängste.
Ein Risiko, das sich hinter der Entwicklung verbirgt, scheint mitunter ausgeblendet zu werden: Die neue, bunte, smarte Energiewelt, die von außen betrachtet so spielerisch und leicht, so App-basiert und jugendlich daherkommt, ist ohne ein solides Fundament nicht denkbar.
Dieses Fundament aber findet in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mehr Beachtung. Auf Jahre hinaus wird die klassische Energiewelt mit ihren großen Kraftwerken die Basis unserer Stromversorgung bilden, mit all ihren Ineffizienzen und Kohlendioxidemissionen. Auch sie muss sich verjüngen, smarter und flexibler werden. Verzichtbar ist sie aber keinesfalls. Sie muss Teil des Veränderungsprozesses werden. Auch das erfordert ein Umdenken auf beiden Seiten.
Die neue Bundesregierung muss das alles sinnvoll begleiten. Die zurückliegende Legislaturperiode ist ein Beleg dafür, dass das eine große Herausforderung darstellt. Vom Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende bis zur Sicherheitsbereitschaft für Braunkohlekraftwerke hat es eine Reihe von Entscheidungen gegeben, die längst nicht alle harmonisch zusammenpassten oder gar den Glauben der Wirtschaft in die Verlässlichkeit der Politik gestärkt hätten.
Das wird in Zukunft sicher nicht anders sein. Umso wichtiger ist es, sich mit anderen zu vernetzen und Ausschau zu halten nach neuen Ideen. Dabei helfen wir gerne.
Über:
Klaus Stratmann ist Journalist beim Handelsblatt, sein Schwerpunkt: die Energiepolitik.
Dieser Artikel ist Teil unseres digitalen Magazins „Schnittstelle Energie Vol. 2 – Interaktive Insights zur Energiewirtschaft“. Es erwartet Sie Querschnitt durch die wichtigsten aktuellen Themen in der Branche, wie:
- Insights von Insidern und Vordenkern
- Neue Impulse aus der Startup-Szene
- Auftrag Energiewende: Ist mit den USA noch zu rechnen?
- SINTEG – Schaufenster für intelligente Energie stellen sich vor
- So profitiert die Energiebranche von Kooperationen mit Tech-, TK- und Industrieunternehmen