„Die Energiewende ist ein Ultra-Marathon“ | #hbenergie-Expertenbeitrag von Klaus Schäfer (Uniper SE)

„Die Energiewende ist ein Ultra-Marathon“

von Klaus Schäfer, Vorstandsvorsitzender, Uniper SE

Warum der Systemwandel nur mit konventionellen Energieformen funktioniert

Auf dem Pariser Klimagipfel haben sich im Dezember 2015 erstmals 195 Staaten zum Klimaschutz verpflichtet. Das Abkommen setzt das ambitionierte Ziel, die Erderwärmung auf einen Wert deutlich unterhalb von 2° C zu begrenzen. Untrennbar damit verbunden ist auch die Frage, welche Rolle konventionelle Energieträger wie Kohle, Öl und Gas in den nächsten Jahrzehnten für die europäische Energieversorgung spielen werden.

Deutschland hat die Abkehr von der klassischen hin zu einer klimaneutraleren Energieversorgung schon sehr früh und entschlossen vorangetrieben. Das ist gut so. Die Energiewende ist unumkehrbar und richtig. Unabhängig von allen Herausforderungen bietet sie unserer Branche die spannende Möglichkeit, die Energiewelt der Zukunft zu gestalten und neue Wachstumsperspektiven zu generieren. Klar ist aber inzwischen auch: In Deutschland hakt die Umsetzung der Energiewende an vielen Stellen. Zudem dauert das Projekt wesentlich länger, als manche es sich gedacht haben dürfen. Der Wechsel von konventionell auf erneuerbar ist weder Sprint noch Mittelstrecke, sondern vielmehr ein Ultra-Marathon. Viel Ausdauer, Erfahrung und eine gehörige Portion Pragmatismus sind gefragt, um die Energiewende erfolgreich über die Ziellinie zu führen. Häufig wird die Diskussion jedoch ideologisch statt pragmatisch geführt. Während dem Klimaschutz dabei zu Recht hohe Priorität eingeräumt wird, geraten andere wichtige Ziele fast unbemerkt ins Hintertreffen. Dabei sind die Ziele der Energiewende klassischerweise ein Dreiklang: Klimafreundlich, sicher und bezahlbar soll die künftige Energieversorgung sein.

Die erste Wegstrecke der Energiewende haben wir in Deutschland hinter uns gebracht. Wir haben einen signifikanten Anteil an erneuerbaren Energien im Gesamtmix erreicht. Aber eine sichere Versorgung rein aus fluktuierenden Erneuerbaren wie Sonne und Wind ist noch immer Zukunftsmusik. An wind- und sonnenreichen Tagen drängen sie schon heute alle anderen Kapazitäten, einschließlich der Wasserkraft, aus dem Markt. Das führt zeitweise sogar zu negativen Preisen an den Strombörsen. Zudem treibt die Verpflichtung der Netzbetreiber zur Abnahme erneuerbaren Stroms und zur Zahlung von Entschädigungen bei Nicht- Abnahme die von den Stromverbrauchern zu zahlende Umlage für die Einspeisung erneuerbarer Energien weiter in die Höhe. Nicht zuletzt führt die hohe Fluktuation der Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne zu einer rasant steigenden Zahl von Netzeingriffen durch die Transportnetzbetreiber. Um das Ziel Versorgungssicherheit ist es aktuell in Deutschland also erkennbar schlecht bestellt.

Faktisch hat auch der Klimaschutz in den vergangenen Jahren keine signifikanten Fortschritte gemacht. In den Jahren 2010 bis 2015 hat Deutschland den CO2-Ausstoß um gerade einmal rund 1 Prozent verringert. Die USA kommen dagegen auf eine Einsparung von rund 14 Prozent. Großbritannien hat seine CO2-Werte gar um beachtliche 35 Prozent verringert. Wie haben Amerikaner und Briten das geschafft? Indem sie den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen konsequent durch gasbetriebene Kraftwerke ergänzt haben. Auch in Sachen Versorgungssicherheit denken die Briten pragmatisch: Im Jahr 2013 hat die britische Regierung entschieden, einen so genannten Kapazitätsmarkt einzuführen. Um ein festgelegtes Maß an Stromerzeugungskapazität zu erreichen beziehungsweise zu erhalten, konkurrieren Kraftwerksbetreiber seitdem in Auktionen um ausgeschriebene Kraftwerksleistungen. Wer den Zuschlag bekommt, erhält die vorgehaltene Leistung entsprechend vergütet. Ursprünglich sah der Zeitplan des britischen Kapazitätsmarkts vor, dass die erste Auktionsrunde aus dem Dezember 2014 Kraftwerke ab den Jahren 2018/19 vergütet. Aus Sorge vor einer zunehmend unsichereren Stromversorgung hat die Regierung zwischenzeitlich jedoch beschlossen, die nächste Runde der Kapazitätsauktionen vorzuziehen und Kraftwerksbetreibern bereits ab Januar 2017 zu ermöglichen, Gebote für den Lieferzeitraum 2017/18 abzugeben.

Neben Großbritannien haben auch Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, Griechenland, Belgien, Finnland, Schweden und Russland Kapazitätsmärkte bereits eingeführt oder werden dies bald tun. Eines haben all diese Länder klar erkannt: Konventionelle Erzeugungsanlagen gehören zu den unverzichtbaren Leistungsträgern des Energiesystems und diese Leistung muss – gerade in einer Phase des Systemumbaus – fair vergütet werden. Schnell regelbare und moderne Wasser-, Gas- und Kohlekraftkraftwerke bieten eben, was Wind und Sonne alleine nicht können: Eine verlässliche und komplett regelbare Stromversorgung rund um die Uhr! Konventionelle Kraftwerke sind eine wichtige Stütze für die Erneuerbaren und tragen langfristig und nachhaltig dazu bei, die Energiewende erfolgreich umzusetzen.

Die Erkenntnis, dass Anlagen, die das Energiesystem für den Übergang zu einer klimafreundlicheren Stromversorgung braucht, entsprechend vergütet werden müssen, wird sich in nicht allzu ferner Zukunft auch in Deutschland durchsetzen. Das sollte auch und vor allem für besonders effiziente und hochflexible Anlagen gelten. Es geht nämlich gerade nicht darum, jedem Kraftwerk eine Vergütung zu gewähren – das wäre das unglücklich gewählte, aber vielzitierte „Hartz 4 für Kraftwerke“. Vielmehr geht es um die Vergütung von Leistungen für die Versorgungssicherheit. Unwirtschaftliche Anlagen, die dafür nicht benötigt werden, sollten konsequent stillgelegt werden. Wir sollten uns also um Lösungen bemühen, die strukturell dem System wirklich helfen und nicht nur hier und da Zückerchen verteilen, ohne aber damit Klima und Verbraucher zu entlasten.

Newsletter Energiewirtschaft 02/2016

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