Die Energiewende, das unheimliche Wesen

Energiewende

Ein Gastbeitrag von Stephan Kamphues, Sprecher der Geschäftsführung, Open Grid Europe GmbH

Die Energiewende ist ein Yeti-ähnliches Wesen: groß, unheimlich, faszinierend, gefürchtet, geliebt und gehasst zugleich – und im übertragenen Sinne ebenfalls eine haarige Angelegenheit. Doch bei aller Ähnlichkeit, es gibt einen wesentlichen Unterschied: an der Existenz der Energiewende besteht aufgrund zahlreicher Fußabdrücke kein Zweifel mehr. Dennoch bleiben Berührungsängste und Unsicherheiten, obwohl wir eigentlich fest entschlossen sind, dem Wesen Energiewende bei uns eine Heimat zu geben. Oder doch nicht?

Klimaschutz, wo bist Du?

Berührungsängste und Unsicherheiten sind normal, auch bei der Energiewende. Es ist eine elementare Herausforderung der Energiewende, sich ihr angemessen bedacht zu nähern und ausgiebig über das „Wie“ ihrer Umsetzung nachzudenken, zu diskutieren und zu entscheiden. Dabei läuft zurzeit etwas schief. Besorgniserregend ist nicht nur, dass wir oft gegeneinander diskutieren und nicht mehr miteinander, sondern auch, dass das eigentliche Ziel aus dem Blick zu geraten droht: der Klimaschutz. Energiewende bedeutet Klimaschutz, Energiewende bedeutet den Konsens darüber, dass das Energiesystem der Zukunft nachhaltig und umweltfreundlich sein soll. An diesem Meta-Ziel sollten sich die Rahmenbedingungen, die Politik vorgibt, verbindlicher orientieren. Das würde nämlich zweierlei sicherstellen: Erstens, dass wir unsere Klimaschutzziele nicht verfehlen. Und zweitens, dass es Planungssicherheit für Verbraucher, Wirtschaft und Industrie gibt. Doch daran mangelt es zurzeit. Dies zeigt sich sowohl bei den großen politischen Linien, als auch bei ganz konkreten Vorhaben:

  • Wie passt es zusammen, dass sich Deutschland mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Paris für ambitioniertere und verbindliche Ziele der gesamten Weltgemeinschaft ausspricht und gleichzeitig mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 die eigenen Klimaziele retten muss?
  • Wie passt es zusammen, dass die Bundesregierung darüber hinaus beim G-7-Gipfel in Elmau im Juni 2015 die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft ausruft, es aber gleichzeitig nicht schafft, das oben genannte Aktionsprogramm, z. B. in Form der Klimaabgabe, durchzusetzen, und die schmutzigsten und ältesten Kraftwerke zuhause vom Netz zu nehmen?
  • Wie passt es zusammen, dass Deutschland nicht nur einen Rekordanteil an Erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung zu verzeichnen hat, sondern auch eine Renaissance der Kohleverstromung erlebt?

Es passt nicht wirklich zusammen. Ist aber der Klimaschutz unser oberstes Ziel – im Einklang mit einer hohen Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit von Energie – dann brauchen wir von Berlin, über Elmau bis nach Paris konsistentere Ziele und eine konsequentere Umsetzung dieser Ziele –auch im Wärme- und Mobilitätssektor.

Zielkonflikte beim Namen nennen

Natürlich löst die Energiewende zahlreiche Zielkonflikte aus. Wichtig ist dabei, diese Konflikte klar zu benennen. Das ist die Grundlage dafür, um sie offen und konstruktiv diskutieren zu können. Auch wir wollen als Unternehmen unsere Perspektive in den Energiewende-Diskurs einbringen. In erster Linie erhoffen wir uns von der Politik, neben der Rückkehr zu mehr Klimaschutz, mehr Planungssicherheit:

  • Was passiert eigentlich nach dem Jahr 2020, z. B. mit der Kraft-Wärme-Kopplung?
  • Wie geht es mit dem Europäischen Emissionshandel weiter?
  • Wie schaffen wir die Europäisierung der Strom-, aber auch der Gasmärkte?

Diesen und weiteren Fragen wünschen wir mehr Präsenz in zukünftigen Debatten. Und dazu eine konstruktivere Diskussionskultur. So könnte aus der Energiewende, dem unheimlichen Wesen, vielleicht etwas ganz anderes werden: eine wahre Geschichte, die in anderen Ländern als gutes Vorbild dienen kann.

Stephan KamphuesSeien Sie dabei, wenn Stephan Kamphues am 20. Januar 2015, bei der 23. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft 2016, gemeinsam mit drei weiteren Energieexpteren, über die Marktintegration Erneuerbarer Energien diskutiert.

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