Deutschland kann Klimaführer werden, muss aber jetzt handeln

Jan Andersson, General Manager, Market Development, Wärtsilä Energy

Deutschlands neue Ampelkoalition hat das Rampenlicht auf der globalen Bühne erneut auf den Kohleausstieg geworfen. Nur wenige Wochen nachdem die COP26-Delegierten dem Kohleausstieg zugestimmt hatten, hat Deutschlands neue Bundesregierung, durch die Zusage den Kohleausstieg bis 2030 voranzubringen, eine starke globale Führungsrolle bewiesen.  Wenn Deutschland dieses Ziel erreichen kann, wird es aus dem Schatten treten und eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen.

Die sogenannte „Klimawahl“ in Deutschland demonstriert die wachsende Besorgnis der Wähler gegenüber globale Erwärmung, die sogar andere Themen wie die Pandemie überholt. Olaf Scholz, der neue Bundeskanzler, reagierte auf diese wachsende Besorgnis, indem er sich zum raschen Ausbau erneuerbarer Energien verpflichtete. Er sagte: “Die wichtigste Aufgabe der neuen Regierung, gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode, wird es sein, Erneuerbare Energie-Ziele zu erhöhen und schnellere Genehmigungen und Netzausbauten zu ermöglichen.“

Wie kann man nun mit dem neuen vereidigten Bundeskanzler, und sein Energieminister Robert Habeck, Deutschlands riesiges Energiesystem effektiv auf Null umzustellen, und gleichzeitig sicherstellen dass im ganzen Land die Lichter nicht ausgehen?

Deutschlands grünes Paradox 

Erneuerbare Energien machen derzeit 45 Prozent des Energiemixes in Deutschland aus, und somit ist das Land eine grüne Führungskraft in Europa. Dies bringt Deutschland in eine starke Position um die  Energieunabhängigkeit sowohl zuHause als auch auf dem ganzen Kontinent zu beschleunigen.

Dennoch bleibt das deutsche Energiesystem etwas Paradox. Trotz fortschrittlicher Politik die dazu führten, dass mehr erneuerbare Energien in den letzten Jahren zum Energienetz hinzugefügt worden sind, betreibt das Land weiterhin Europas größte Flotte an Kohlekraftwerke, mit einer installierten Leistung von knapp 40 GW.

Deutschland ist aufgrund seiner anhaltenden Abhängigkeit von Kohle der sechstgrößte Umweltverschmutzer der Welt, und emittiert jährlich 739 Millionen Tonnen CO2. Ohne ambitionierte Maßnahmen Kohle aus dem Energiemix zu streichen, wird Deutschland seine Ambitionen, eine globale Führungskraft im Kampf gegen das Klimawandel zu sein, nicht verwirklichen.

Zwei Wege führen zu Netto-Null

Deutschland steht derzeit an einem Scheideweg. Nach einer von Widersprüchen geprägten Merkle-Ära hat Olaf Scholz die Chance, einen neuen, ambitionierten Weg zu Netto-Null einzuschlagen. Die Unterschiede sind gravierend – eine Beschleunigung des Weges zu Netto-Null reduziert nicht nur die Emissionen, sondern senkt auch die Stromkosten erheblich, die bisher eine wichtige Hürde in Deutschlands Energiewende waren.

Um die Kluft der Möglichkeiten zwischen Ambition und Status Quo zu demonstrieren, hat Wärtsilä zwei Wege zum Netto-Null modelliert, um zu zeigen, wie sich der Übergang entwickeln kann. Beide Modelle priorisierten die kostengünstigen erneuerbare Energien mit flexibler Kapazität wie Wind und Sonne, Energiespeicher und thermische Ausgleichskraftwerke im Energiemix:

  1. Das Netto-Null-Szenario „Baseline 2045“ modellierte einen Business-As-Usual-Plan, der die Politik aus der Merkel-Ära fortsetzt, mit dem Kohleausstieg bis 2038 und wo bis zu 13,5 GW erneuerbarer Energien pro Jahr hinzugefügt werden, bis das Energiesystem bis 2045 CO2-neutral ist.
  2. Ein alternatives „Supercharged 2040“-Netto-Null-Szenario, bei dem Deutschland bis 2030 den Kohleausstieg vollendet hat, und bis 2040 Netto-Null erreichen wird, indem erneuerbare Energiekapazitäten mit einer erhöhten Rate von bis zu 19,5 GW jährlich aufgebaut werden.

Unsere Modellierung zeigt, dass damit Deutschland den schnelleren und besseren Weg (Szenario Supercharged 2040) zu Netto-Null eingeschlagen kann, müssen erneuerbare Energien, unterstützt durch Flexibilität, bis 2031 um 80%, basierend auf das 2020 Niveau, ausgebaut werden.

Trotz dieses Anstiegs der erneuerbaren Energien haben wir festgestellt, dass die Beschleunigung der erneuerbaren Energien nicht mehr kostet, sondern tatsächlich zu einer Senkung der Stromkosten um 8% führt. Durch die frühzeitige Bereitstellung erneuerbarer Energien kann Deutschland früher Netto-Null erreichen und langfristig weniger ausgeben.

Die Schaffung einer neuen „erneuerbaren Grundlast“, die durch flexible Kapazitäten wie thermische Ausgleichskraftwerke und Energiespeicher unterstützt wird, kann die Wirtschaft dabei helfen zu prosperierien. Jetzt ein Frontloading Verfahren eingehen, und den Kohleausstieg vollständig innerhalb von zehn Jahren durchzuführen, wird bedeuten dass Deutschland saubere erneuerbare Energien installieren kann, und dabei große Vorteile freischalten kann – von der Vermeidung von Produktions- und CO2-Kosten bis hin zur Förderung der Energieunabhängigkeit und das elektrische Heizen.

Unsere Modellierung zeigt auch die Bedeutung von Richtlinien wie die CO2-Bepreisung. Auf der Grundlage des aktuellen CO2-Preises belaufen sich die kumulierten CO2-Kosten des Kohleausstiegs bis 2038 auf €137 Mrd, im Vergleich zu €114 Mrd bei einem Kohleausstieg im Jahr 2030. Es ist wichtig zu beachten, dass die obige Einsparungszahl konservativ ist, da der CO2-Preis in Deutschland bis 2030 von  €55 pro Tonne CO2 auf  €62 prognostiziert wird.

Ein ausschlaggebender Moment für Deutschland

Einige Kommentatoren meinen, dass ein ambitionierter Plan, Netto-Null früher als geplant zu erreichen, nicht möglich sei. Aber unsere Modellierung zeigt, dass dies früher möglich ist, ohne mehr zu kosten. Wenn Deutschland seinen Kohleausstieg bis 2030 beschleunigen kann, wird es sogar 422 Millionen Tonnen CO2 einsparen und könnte bis 2040 einen Netto-Null-Stromsektor aufbauen.

Wenn es ambitioniert erscheint, dann weil es das ist.

Ehrgeiz sollte jedoch kein Hindernis fürs Handeln sein. Deutschland hat in den vergangenen Jahren erhebliche Mengen an erneuerbaren Kapazitäten zugebaut – das muss es nun konsequent tun.

Die neue Bundesregierung hat die Wahl zwischen Ehrgeiz und Status Quo. Unsere Botschaft ist klar: Ambition muss Vorrang haben.

Jan Andersson
General Manager, Market Development
Wärtsilä Energy