
Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ vom 28.08.2023
von Ralf Klöpfer
Deutschland ringt um die Ausgestaltung des zukünftigen Energiesystems. Wichtige Gesetzespakete wurden auf den Weg gebracht, über andere wird weiterhin heftig diskutiert, bestes Beispiel ist das politische Tauziehen um das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Dennoch darf Deutschland in Sachen Klimaschutz keine Zeit verlieren. Denn wir brauchen über die gesamte Energiewende hinweg mehr Geschwindigkeit, mehr Lösungs- statt Problemorientierung. Und dafür stehen alle Energieunternehmen – große Versorger ebenso wie kleinere Stadtwerke – in der Verantwortung. Wer jetzt aktiv handelt und schon heute die Weichen für das Morgen stellt, wird trotz aller damit verbundenen Anstrengungen letztlich auch in unserem zukünftigen Energiesystem profitieren.
Mannheimer Modell als strategische Richtschnur von MVV
Denn erfolgreiches Wirtschaften und Klimaschutz können und müssen Hand in Hand gehen – davon sind wir bei MVV überzeugt. Nachhaltigkeit steht daher im Zentrum unserer Strategie. Mit dem Mannheimer Modell haben wir uns einem strategischen Weg verpflichtet, mit dem wir bis spätestens 2040 klimaneutral und danach #klimapositiv werden, der Atmosphäre also Treibhausgase entziehen. Dabei setzen wir auf einen Dreiklang aus Wärmewende, Stromwende und grünen Kundenlösungen.
Wärmewende: Fernwärme vergrünen und Netze transformieren
Die Fernwärme ist – neben Wärmepumpen und Biomasseheizungen – ein wichtiger Hebel, um zukünftig Gebäude den gesetzlichen Vorgaben entsprechend klimafreundlich zu beheizen. Das zeichnet sich auch in der neuen Regulatorik und Gesetzgebung ab. Am 1. Januar 2024 sollen sowohl die Gesetze für die kommunalen Wärmepläne als auch für die Anforderungen an einzelne Gebäude in Kraft treten.
Wir arbeiten bereits seit Jahren und mit Hochdruck an der schrittweisen Vergrünung unseres Wärmeportfolios, sowohl in unserer Heimatstadt Mannheim als auch über unsere Stadtwerketöchter in Offenbach und in Kiel. In Mannheim und der Region sowie in Offenbach stellen wir unsere Fernwärme noch in dieser Dekade vollständig auf grüne Energiequellen um und in Kiel bis spätestens 2035. Dafür investieren wir in ein breites Portfolio erneuerbarer Erzeugungsoptionen: In Mannheim folgen auf die Anbindung unserer Abfallverwertung im Jahr 2020 noch in diesem Jahr unsere erste Flusswärmepumpe sowie eine Klärschlammbehandlungsanlage. 2024 werden wir unser Biomassekraftwerk an das Fernwärmenetz anschließen. Hinzu kommen weitere grüne Optionen wie Tiefengeothermie, zusätzliche Flusswärmepumpen, Biomethan-Anlagen, Elektrodenkessel oder die Nutzung weiterer industrieller Abwärme.
Mit dem Ausstieg aus der fossilen Wärmeerzeugung muss auch die zukünftige Rolle der Erdgasnetze neu definiert werden. In Abhängigkeit von den kommunalen Wärmeplanungen werden die Netze für die Verteilung von Wasserstoff oder grünen Gasen umgewidmet oder stillgelegt, weil andere Wärmeoptionen wie Fernwärme zum Zuge kommen. Die Politik muss dafür einen Rahmen schaffen. In einer kürzlich erschienenen Studie hat MVV Vorschläge für die künftige Ausgestaltung eines solchen Rahmens gemacht. Die Studie ist im Internet unter mvv.de/gasnetzstudie abrufbar.
Kommunen und Stadtwerke stehen in den nächsten Jahren also vor gewaltigen Herausforderungen, um die Wärmewende vor Ort mit entsprechenden Investitionen umzusetzen. Regionale Kooperationen oder die Einbeziehung größerer Energieunternehmen mit einer entsprechenden Umsetzungserfahrung können hierbei eine sinnvolle Lösung sein. MVV unterstützt daher Kommunen und Stadtwerke bei der Transformation der Wärmeversorgung – auch im Bereich kommunaler Wärmeplanung. Dafür greifen wir insbesondere auf digitale Tools zurück. Denn der Ausbau und die weitere Verdichtung der Fernwärme sowie deren schrittweise Vergrünung bedürfen systematischer und genauer Planung. Dies beinhaltet auch Angebote für all diejenigen, die nach einem weiteren Fernwärmeausbau noch anders versorgt werden, zum Beispiel mit dezentralen Lösungen wie Wärmepumpen oder mit grünen Gasen. Außerdem haben wir mit dem Innovationsprojekt Climap eine Methodik entwickelt, um den Gebäudebestand in Städten und Kommunen in großem Maßstab mit Wärmebildern analysieren und so Energieeinsparpotenziale erschließen zu können.
Stromwende: Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen
Bei der Stromwende ist die Politik bereits ein gutes Stück weiter, um den dringend benötigten Quantensprung bei den Ausbaumengen zu erreichen. Im April 2023 hat die Bundesregierung hier einen Gesetzesentwurf zur Verbesserung des Klimaschutzes beim Immissionsschutz, zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren und zur Umsetzung von EURecht beschlossen, der im Herbst 2023 verabschiedet werden soll. Dadurch hat Deutschland wichtige positive Signale für die Projektierung neuer Wind-Onshore- und PV-Freiflächen-Anlagen gesetzt.
Für uns ist die Stromwende – die zweite Säule unseres Mannheimer Modells – ebenfalls ein bedeutender Investitionsbereich. Dafür bauen wir unsere eigene Erzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2026 auf über 800 Megawatt aus, insbesondere durch den Zubau von Windkraftanlagen an Land und Photovoltaik. Außerdem entwickeln wir Wind- und Solarprojekte für Dritte.
Kundenlösungen: Klimaneutralität auch vor Ort ermöglichen
Die dritte Säule unseres Mannheimer Modells sind unsere Kundenlösungen, mit denen wir Klimaneutralität auch bei unseren Kunden vor Ort ermöglichen. Dafür machen wir bis 2035 unsere Kundenlösungen komplett grün. Unser Ansatz umfasst das Lösungshaus der MVV Enamic für Geschäftskunden, Produkte für dezentrale Energielösungen im Privat- und Gewerbekundenvertrieb sowie Service- und Handwerkerleistungen für Dritte. Mit unserer MVV Trading bieten wir außerdem jahrzehntelange Erfahrung in der Beschaffung und Vermarktung von Energie – auch und gerade für Kommunen, Stadtwerke und Energieversorgungsunternehmen.
Für die Energiewende von Privathaushalten sind vor allem offene, herstellerunabhängige Systemlösungen von Bedeutung. Diese können verschiedene Energiekomponenten wie PV-Anlage, Wärmepumpe, Batteriespeicher und E-Ladestation im Haushalt intelligent miteinander vernetzen sowie aus einer Hand installiert und gewartet werden. Der MVV-Energiemanager beispielsweise ermöglicht durch die Vernetzung der Komponenten mit Wetter- und Strompreisdaten ein optimales Energiemanagement im Gebäude und kann mit weiteren digitalen Services ergänzt werden. Das integrierte Systemangebot aus einer Hand gibt es auch als White- Label-Lösungen für Stadtwerke.
Auf digitale Helfer für die Umsetzung der Energiewende vor Ort setzt auch die neue FFVAV (Fernwärmeoder Fernkälte-Verbrauchserfassungs- und -Abrechnungsverordnung). Dadurch muss bis Anfang 2027 die Umstellung aller Wärmezähler auf fernablesbare Geräte abgeschlossen sein. Für Stadtwerke und Messstellenbetreiber scheint dies auf den ersten Blick vor allem zusätzlichen Aufwand und Kosten zu bedeuten. Tatsächlich aber bietet die FFVAV auch die Chance, die Infrastruktur für die Fernwärme auf digitale und damit auf zukunftsfähige Füße zu stellen, zum Beispiel durch den Einsatz von „Long Range Low Power Wide Area Network“ – kurz LoRaWAN. Es bietet neben der Fernwärme weitere Anwendungsmöglichkeiten, etwa die intelligente Steuerung der Verkehrsflüsse, gezieltes Parkplatzmanagement, Grundwasserpegelmessung sowie Schachtüberwachung. MVV kooperiert hier im Rahmen ihres Geschäftsbereichs Smart Cities bereits erfolgreich mit vielen Stadtwerken, Gemeinden und Wohnungsbaugesellschaften.
Anpacken statt abwarten
Mit dem Mannheimer Modell und seinem Dreiklang aus Wärmewende, Stromwende und Kundenlösungen zeigt MVV, dass Klimaneutralität strategisch, technisch und wirtschaftlich tatsächlich möglich ist. Und dass sich mit einem entschlossenen Handeln wichtige Chancen ergreifen lassen – für den Klimaschutz und aus wirtschaftlicher Sicht. Wir sind damit das erste deutsche Energieunternehmen, dessen Ziel Klimaneutralität bis spätestens 2040 und die dazugehörigen Maßnahmen wissenschaftlich anerkannt sind. Das hat die internationale „Science Based Targets Initiative“ (SBTi) mit ihrer „Net-Zero“- Testierung bestätigt.
Klimaneutralität ist für uns jedoch nur ein Zwischenschritt: Ab spätestens 2040 ist die Zukunft von MVV #klimapositiv. In Dresden ist dies bereits Gegenwart geworden: Unsere dortige Bioabfallvergärungsanlage ist die erste Anlage, bei der mehr CO2 abgeschieden und gespeichert als in die Atmosphäre entlassen wird. In Mannheim arbeiten wir außerdem an einem ersten Pilotprojekt, mit dem CO2 aus dem Rauchgas der Abfallverwertung und des Biomassekraftwerks abgeschieden und genutzt werden soll. In einem späteren Großverfahren können wir so perspektivisch CO2 speichern und der Atmosphäre dauerhaft entziehen.
#klimapositiv ist auch in Zukunft der Kompass von MVV – auch weil wir der Überzeugung sind, dass wir Energieunternehmen die Herausforderung Energiewende gemeinsam anpacken und proaktiv handeln müssen, statt uns hinter Konzepten und langen Diskussionen zu verstecken.
Mit dem Dreiklang aus Wärmewende, Stromwende und Kundenlösungen ist Klimaneutralität strategisch, technisch und wirtschaftlich möglich.
Ralf Klöpfer, Vertriebsvorstand der MVV Energie AG
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
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