Als Back-up und Garantin für Versorgungssicherheit bleibt die Kohle wichtig

Interview mit Dr. Rolf Martin Schmitz

„Die Transformation der Energiesysteme wird gelingen, wenn sie intelligent in Angriff genommen wird“, sagt Dr. Rolf Martin Schmitz. Warum die Kohle als Energieträger in den nächsten Jahren dennoch eine wichtige Funktion hat, erklärt RWEs CEO im Interview.

Dr. Rolf Martin Schmitz ist CEO der RWE AG. In seinem Impulsvortrag und der anschließenden Diskussionsrunde mit anderen Energieexperten, im Rahmen des Handelsblatt Energie-Gipfels im Januar 2019 in Berlin, wird er über die künftige Rolle der Kohle in der Erzeugungsstrategie Deutschlands sprechen.

Interview mit Dr. Rolf Martin Schmitz

Herr Dr. Schmitz, welche Rolle spielt die Kohle im künftigen Erzeugungsmix in Deutschland?

Deutschland verdankt seinen Wohlstand einer prosperierenden, wettbewerbsfähigen Wirtschaft, deren Motor die Industrie ist. Zwischen der Entwicklung der Unternehmen und der Energieversorgung gibt es starke Abhängigkeiten. Strom soll verlässlich, bezahlbar und möglichst sauber sein – Stichwort Energiewende. Die Transformation der Energiesysteme wird gelingen, wenn sie intelligent in Angriff genommen wird: Erneuerbare Energien schnell und konsequent ausbauen, Netze effizient und zügig erweitern, Versorgungssicherheit durch konventionelle Kraftwerke sichern, so lange es keine Speicher im großen Stil gibt. Auf diese Weise können wir Strom immer umweltverträglicher machen und ihn gleichzeitig weiter gesichert und wettbewerbsfähig produzieren. Was dabei die Kohle betrifft, so sind die Zusammenhänge eigentlich ganz einfach: Kommen wir beim Ausbau von Erneuerbaren und Netzen gut voran, nimmt die Rolle der Kohle als Energieträger automatisch ab – und damit sinkt natürlich der CO2-Ausstoß. Als Back-up und Garantin für Versorgungssicherheit, zum Beispiel für Dunkelflauten, bleibt sie wichtig.

Wie bewerten Sie die Arbeit der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission?

„Wachstum, Beschäftigung und Strukturwandel“ – das sind aus gutem Grund die Schwerpunkte der Kommission, die deshalb diesen Namen trägt. Aus Sicht der Energiewirtschaft wäre der Titel „Kommission für den Ausbau der Erneuerbaren und der Netze“ vielleicht treffender. Nach dem Auslaufen der Kernenergie ersetzt jede Kilowattstunde, die mit erneuerbaren Energien produziert wird, automatisch eine Kilowattstunde aus konventioneller Erzeugung. Der Kohleausstieg ist das zwangsläufige Resultat. Dafür braucht es kein politisches Datum, das ohnehin nur Symbolwirkung hätte. Der Prozess allerdings muss politisch begleitet werden, um einen echten Strukturwandel zu ermöglichen. Und der braucht nicht nur Geld und Erfahrung. Der braucht vor allem auch Zeit, wie das Ruhrgebiet zeigt. Der Ausstieg aus der Steinkohleförderung ging über 30 Jahre. Die Folgen sind heute noch zu spüren. Gelsenkirchen hat die höchste Arbeitslosenquote bundesweit. Deshalb sollte der Zusammenhang zwischen bezahlbarer Energie und dem Wohlergehen der energieintensiven Industrie beachtet werden: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf in NRW ist entlang der Rheinschiene am höchsten. Das ist kein Zufall: Hier gibt es den starken Verbund aus Braunkohle und energieintensiven Betrieben. Über 300.000 zumeist hochqualifizierte Arbeitsplätze hängen an diesem Verbund. Eine intelligente Energiewende sorgt dafür, dass wir dieses Zentrum für Wirtschaftskraft und Wohlstand transformieren – aber nicht ruinieren.

Wie könnte ein geordneter Kohleausstieg Ihrer Meinung nach aussehen?

Der Ausstieg aus der Kohle läuft doch längst. RWE setzt ihren klaren Fahrplan konsequent um und reduziert die CO2-Emissionen im Konzern bis 2030 um 40 % bis 50 % gegenüber dem Jahr 2015. Es wäre gut, wenn andere Bereiche – Verkehr, oder der Gebäudesektor – sich ähnlich ambitionierte Ziele setzen würden. Im Übrigen lohnt ein Blick auf die Stromerzeugung im ersten Halbjahr: Erstmals haben die erneuerbaren Energien Braun- und Steinkohlekraftwerke überholt. Der Anteil von Ökostrom lag bei rund 36%. Ein Plus von 10 % im Vergleich zum ersten Halbjahr 2017. Die Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken ging im selben Zeitraum um rund ein Zehntel zurück. Schreibt man die Entwicklung bis 2020 fort, würde das CO2-Reduktionsziel im Bereich Energiewirtschaft erfüllt, vielleicht sogar übererfüllt. Ohne zusätzliche Stilllegungen von Kraftwerken. Das zeigt doch, wo der Hebel sinnvoll anzusetzen ist.

Müssen wir uns ohne Kohle- und Atomstrom Gedanken um die Versorgungssicherheit machen?

Ich würde die Perspektive wechseln: Wie können wir Versorgungssicherheit gewährleisten und die Stromversorgung umbauen in Richtung CO2-Freiheit? Dazu braucht es funktionierende Leitungen, die die Stromflüsse bewältigen können, die sich durch den Zubau der Erneuerbaren, vor allem den Offshore-Wind-Parks im Norden ergeben. Das geht nicht von heute auf morgen. Ich hielte es für volkswirtschaftlich nicht vertretbar für diese Zeit ein Zwischensystem aus Gaskraftwerken aufzubauen, die nur acht oder zehn Jahre gebraucht würden und dann ebenfalls von Erneuerbaren wieder verdrängt würden. Das wäre pure Geldverschwendung. Sinnvoller und einfacher ist es, diese Zeit mit der Kohle zu überbrücken. Dabei ist klar, dass wir die Klimaschutzziele 2030 erreichen wollen und konventionelle Erzeugung deutlich zurückgeht – das ist aber auch machbar, ohne gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Durch die Transaktion mit E.ON kommt das Erneuerbaren Geschäft von E.ON und das von innogy unter das Dach von RWE. Wo liegen darin für RWE die Vorteile?

Der Ausbau der Erneuerbaren Energie ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Energiewende, die alle Wirtschaftssektoren umfasst. Strom, möglichst CO2-frei, wird der Treiber gesellschaftlicher Entwicklungen. Durch die Transaktion mit E.ON wird RWE in den nächsten anderthalb Jahren zum drittgrößten Produzent von erneuerbaren Energien in Europa. Außerdem haben wir die finanzielle Stärke, weiter in den Ausbau der Erneuerbaren zu investieren. Nach Abschluss der Transaktion wollen wir jährlich in der Größenordnung 1,5 Mrd. Euro – mit dem Schwerpunkt Erneuerbare – investieren. Mit unserem Portfolio aus flexiblen konventionellen Kraftwerken und starken Erneuerbaren können wir also künftig Versorgungssicherheit und Energiewende bedienen. Zudem treiben wir die Entwicklung von Speichertechnologien voran. Bis zur Marktreife ist es noch ein weiter Weg – dessen ungeachtet: Sie können der „game changer“ werden.

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