Interview mit Chris Bartz, CEO & Co-Founder von Elinvar sowie Vorsitzender des FinTechRats beim Bundesministerium der Finanzen

Herr Bartz, wie ist der Finanzplatz Deutschland in Ihren Augen aufgestellt? Wie bewerten Sie den Imageverlust nach dem Fall Wirecard und dem Fall der Greensill Bank? Was muss sich gegebenenfalls ändern, um verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen?
Ich bin überzeugter Europäer und sehe Deutschland stark im europäischen Kontext. Gerade im Bereich Finanztechnologie und in der digitalen Transformation stecken viel Potenzial und bedeutende Chancen für den Finanzplatz Europa. Das gilt sowohl für Start-Ups als auch für etablierte Unternehmen.

Wir haben in Europa zahlreiche und in dieser Kombination einzigartige Standortvorteile: Eine reiche Finanztradition, sehr guten Zugang zu Talenten mit Finanzexpertise und einen der weltweit größten Märkte für Finanzdienstleister in Bezug auf Kerngrößen wie Geschäfts- und Transaktionsvolumina. Europa hat eine enorme Reputation bezüglich Vertrauenswürdigkeit, Sicherheit und Datenschutz. Wenn wir zusammenarbeiten, haben unsere Standards globale Relevanz – wie das Beispiel der DSGVO zeigt. Diese Potentiale gilt es auszuschöpfen.

Im Austausch mit anderen erlebe ich dabei eine große Einigkeit. Egal ob etablierte Bank oder neu gegründetes Startup, bei allen besteht das gemeinsame Ziel, verantwortungsvoll und nachhaltig zu handeln. Dies beinhaltet auch, ihren Beitrag zu leisten, negativen Einzelfällen wie den genannten entgegenzuwirken. So setzt sich beispielsweise der FinTechRat bereits seit seiner Gründung dafür ein, die regulatorischen Rahmenbedingungen entsprechend der Anforderungen eines modernen Ökosystems weiterzuentwickeln. Dies umfasst die vollständige Erfassung der Marktteilnehmer und die Transparenz über Schnittstellen, Durchführungsverantwortungen, Gesamtverantwortungen und Risikoentwicklungen ebenso wie die Reaktionsmöglichkeiten bei Fehlentwicklungen.
Die Nutzung moderner Technologie in Kombination mit dem Ausbau entsprechender aufsichtsrechtlicher Expertise und der datengestützten Modernisierung der Finanzaufsicht bieten dabei aus meiner Sicht große Chancen, wie die Beispiele des vom BMF vorgeschlagenen Aufbaus einer Data Intelligence Unit und das digitale Aufseher Cockpit zeigen.

Etliche Fintechs kritisieren die aktuelle IBAN-Diskriminierung. Welche Hindernisse gibt es für Fintechs bei grenzüberschreitenden Aktivitäten und was bedeutet das für die Wettbewerbsfähigkeit des Fintech-Standortes Deutschland?
Digitalisierung und Skalierbarkeit beeinflussen sich wechselseitig massiv – daher muss die europäische Politik beides ermöglichen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu sichern. Wir brauchen einen gemeinsamen, starken und homogenen Heimatmarkt für innovative digitale Dienstleistungen, um die für den Kundennutzen notwendigen Skaleneffekte zu erreichen. Es gilt gerade innerhalb der EU, alle Hindernisse für grenzüberschreitende Aktivitäten zu beseitigen. Zu diesen Hindernissen gehört die Diskriminierung ausländischer IBANs ebenso wie eine unzureichende Harmonisierung in der Regulierung oder Lücken im Passporting-System. Wir benötigen einheitliche, qualifizierte europäische Identifikations- und Authentifizierungsstandards, die in allen europäischen Staaten anerkannt werden. Zudem fehlt es teilweise noch an rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung digitaler End-to-End-Prozesse: Digitale Identitäten und digital abgeschlossene vertragliche Vereinbarungen müssen rechtswirksam sein. Digitale Souveränität entsteht vor allem durch marktwirtschaftlichen Erfolg europäischer Anbieter – dafür braucht es Rahmenbedingungen, die auf Skalierung statt auf Abschottung ausgerichtet sind.

Sie sprechen das Finanz-Ökosystem an. Viele Banken schaffen es erst durch Kooperationen mit Fintechs, ihr Business konsequent zu digitalisieren. Inwiefern können Fintechs ein Enabler für die digitale Transformation und Wettbewerbsfähigkeit von Banken sein?
Der Finanzmarkt entwickelt sich bereits seit einiger Zeit hin zu einem Ökosystem, in dem Dienstleistungen durch die Kooperation verschiedener Marktteilnehmer entlang der Wertschöpfungskette erbracht werden. In der Zusammenarbeit verschiedener Partner, die ihre jeweiligen Kernkompetenzen einbringen, entstehen die besten Lösungen. Kein einzelner Anbieter kann in allen Bereichen führend sein und durch die Digitalisierung werden Partnerschaften zur Ergänzung der eignen Stärken nochmals wesentlich vereinfacht. Beispielsweise zeichnen sich etablierte Banken oft durch herausragende Kompetenzen an der Kundenschnittstelle aus und verfügen über enorme finanzielle und regulatorische Fachexpertise. Technologische Fragen lassen sich oftmals effektiver mit geeigneten Kooperationspartnern abbilden, die hier ihre komplementäre Kernkompetenz einbringen. Unter Unternehmen mit Fokus auf Finanztechnologie gibt es dabei zahlreiche innovationsstarke und regulierte Anbieter, die die Bedürfnisse von Banken sehr genau kennen, sie schnell und sicher abbilden können. Von solchen Kooperationen profitieren alle Seiten, nicht zuletzt die Kund*innen.

Als letztes möchten wir mit Ihnen in die Zukunft schauen: Wie sieht die Bankinglandschaft Ihrer Meinung nach in 5-10 Jahren aus?
Ich sehe vor allem zwei wesentliche Trends: Zum einen wechselt das Thema Digitalisierung endgültig von den reinen Frontend- zu den Infrastrukturthemen und zum Fundament des Ökosystems. Beispielsweise wird Cloud Native von der Kür zur Pflicht; Blockchain, digitaler Euro und Machine-to-Machine abgeschlossene Verträge werden Prozesse und Geschäftsmodelle teilweise fundamental verändern. In diesem Kontext wird sich aus meiner Sicht bewahrheiten, dass die kurzfristigen Veränderungen überschätzt und die langfristigen Umbrüche unterschätzt werden.
Parallel wird die Finanzindustrie aus meiner Sicht ein entscheidender Katalysator für die nachhaltige Ausgestaltung der Wirtschaft. Es ist bereits deutlich sichtbar, dass, von der Kreditvergabe durch Banken bis zu Investitionsentscheidungen von Asset Managern, Nachhaltigkeitskriterien deutlich an Relevanz gewinnen. Ich gehe fest davon aus, dass sich dieser Trend weiter beschleunigt und zum Standard für Finanzentscheidungen wird. Anders formuliert: Wer nicht nachhaltig handelt, wird perspektivisch vermutlich weder Zugang zu Eigenkapital noch zu Fremdkapital haben.