Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
stabile und funktionsfähige Finanzmärkte sind nicht nur etwas für eine kleine Gruppe von Marktteilnehmern, Aufsehern und Politikern. Die Stabilität und Funktionsfähigkeit von Finanzmärkten betreffen uns alle. Sie sind ein wesentlicher Faktor für das Wirtschaftswachstum und damit auch für die gesellschaftliche und politische Stabilität unseres Gemeinwesens. Besonders schmerzlich wird uns dies in Finanzmarktkrisen vor Augen geführt. Wirtschaftliche, soziale und politische Verwerfungen sind die Folge, Menschen und ganze Staaten geraten in Not. Das Werk von Populisten, die von der Angst leben, wird befördert – auch in Europa.
Wir haben daraus zusammen mit unseren europäischen und internationalen Partnern Lehren gezogen und Maßnahmen getroffen, um die Finanzmärkte stabiler zu machen. Mit der Umsetzung von Basel III haben wir die Widerstandsfähigkeit der Banken gegenüber künftigen Krisen erhöht. In der Bankenunion haben wir eine gemeinsame Europäische Aufsicht und ein Abwicklungsregime geschaffen, um auch mögliche Schieflagen größerer Banken besser beherrschen zu können. Ein Kernbestandteil dieses Regimes ist das „Bail-In“. Es sorgt dafür, dass diejenigen in schlechten Zeiten einstehen, die in guten Zeiten profitieren: Eigentümer und Gläubiger einer Bank.
Bei alldem ist uns bewusst, dass die Finanzmarktregulierung auch auf Kritik aus dem Finanzsektor stößt. Diese Kritik darf uns nicht davon abhalten, die für die Finanzmarktstabilität und den Verbraucherschutz notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Doch wir nehmen die Kritik ernst. Daher stellen wir unsere Maßnahmen immer wieder auf den Prüfstand und justieren sie nach, wo dies im Sinne der Zielgenauigkeit, Widerspruchsfreiheit und Verhältnismäßigkeit geboten ist. Auf europäischer Ebene setzen wir uns dafür ein, kleinere und mittlere Banken von unnötigen Anforderungen zu befreien, die keinen Beitrag zur Finanzmarktstabilität leisten.
Nun arbeiten wir an der weiteren Vertiefung der Bankenunion. Für uns bedeutet dies: Wir müssen fortbestehende Risiken abbauen. Hierzu gehört auch eine angemessene Regulierung von Staatsanleihen. Das Vereinbarte muss umgesetzt und effektiv angewendet werden. Wenn wir die Haftung von Eigentümern und Gläubigern in Frage stellen, wird die Bankenunion kein Erfolg werden. Und es bleibt dabei: Eine Diskussion über eine gemeinsame Einlagensicherung in Europa steht ohne nachhaltige Reduzierung der Risiken für die Banken nicht auf der politischen Tagesordnung. Die Vergemeinschaftung von Lasten löst die Probleme nicht an der Wurzel und lässt den Reformeifer allzu leicht erlahmen. Dies gilt im Übrigen auch für Eurobonds. Diese fördern keine kluge und verantwortliche Finanzpolitik, sondern konterkarieren sie.
Stabile und funktionsfähige Märkte sind ohne internationale und europäische Kooperation nicht möglich. Deutschland hat in diesem Jahr als Vorsitzender der G20 mit seinen Partnern bei der Fortentwicklung der internationalen Finanzmarktordnung wichtige Fortschritte erzielt. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass wir Rückschritte bei der internationalen Kooperation erleben. Insbesondere das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union wird uns vor erhebliche Herausforderungen stellen. Unsere Position dabei ist klar: Deutschland setzt sich für offene Märkte ein. Dies gilt auch für die Finanzmärkte. Notwendig dafür ist jedoch, dass das Vereinigte Königreich die hohen europäischen Regulierungsstandards weiterhin akzeptiert. Eine enge Zusammenarbeit bei der Finanzmarktaufsicht ist unverzichtbar, denn ein verzahnter Finanzmarkt braucht einen gemeinsamen Stabilitätsrahmen. Wir können es uns nicht leisten, dass unkontrollierbare Risiken am Finanzplatz London den europäischen Finanzmarkt gefährden.
Auch wenn es uns gelingen sollte, gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich einen neuen Rahmen für Finanzdienstleistungen zu entwickeln, bleibt klar: Dieser wird hinter dem Status Quo des Binnenmarktes zurückbleiben. Einfache Lösungen wird es nicht geben. Darauf müssen wir uns alle vorbereiten, nicht zuletzt die Akteure an den Finanzmärkten. Wir sollten dies zugleich als Ansporn begreifen, den europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen und den Finanzplatz Deutschland weiter auszubauen. Für die Finanzierung unserer Wirtschaft brauchen wir ein leistungsfähiges Kapitalmarktsystem: Bislang von London aus tätige Banken sind in Deutschland, insbesondere in Frankfurt am Main, willkommen. Auch setzen wir uns für eine weitere Stärkung der Kapitalmarktunion ein. Und wir werden in Europa und in Deutschland weiterhin daran arbeiten, mit einer zielgenauen, angemessenen und risikoorientierten Regulierung den Rahmen für stabile, funktionsfähige und wettbewerbsfähige Finanzmärkte zu schaffen.
Ihr
Wolfgang Schäuble
Quelle: Ilja C. Hendel/BMF