Interview mit Veronika Bienert, CFO Siemens Financial Services (SFS)

Interview mit Veronika Bienert, CFO Siemens Financial Services (SFS)

„Wir gestalten die Energiewende an vorderster Front mit“

Die Pandemie hat Nachholbedarf der Industrie bei der Digitalisierung offengelegt. Zugleich wollen die Unternehmen ihre Prozesse nachhaltiger und energieeffizienter gestalten. Der Finanzdienstleister des Industriekonzerns Siemens entwickelt mit seinem technischen Verständnis dafür Finanzierungslösungen.

Die Corona-Pandemie hat beispielsweise im Gesundheitsbereich und bei einzelnen Industrieprojekten zu Einbrüchen und neuen Schwerpunkten geführt. Wie verändert die Pandemie Ihr Geschäft als Finanzdienstleister eines Industriekonzerns?

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, schnell und flexibel auf dynamische Umstände reagieren zu können. Wer frühzeitig auf Digitalisierung und Automatisierung gesetzt hatte, dem fiel es leichter, seine Produktionsabläufe anzupassen. Gleichzeitig gibt es immer noch einen großen Nachholbedarf – nur ein Beispiel: Laut einer unserer aktuellen Studien beläuft sich der Investitionsbedarf der globalen Lebensmittel- und Getränkeindustrie allein in den nächsten fünf Jahren auf rund 400 Milliarden Euro. Siemens als Anbieter technischer Lösungen für Unternehmen in unterschiedlichen Branchen spielt hier eine entscheidende Rolle. Als Finanzdienstleister von Siemens profitieren wir bei SFS insbesondere von unserem Technologie-Know-how, dem großen Erfahrungsschatz unserer Mitarbeiter und der Diversifikation unseres Portfolios. So können wir Entwicklungen und Risiken in den verschiedensten Industrien sehr gut einschätzen und gemeinsam mit unseren Kollegen aus dem industriellen Geschäft maßgeschneiderte Finanzierungslösungen entwickeln.

Wie wird sich die geplante Verschärfung der deutschen Klimaziele in Zukunft auf Ihr Geschäft auswirken?

Siemens und SFS gestalten die globale Energiewende an vorderster Front mit: Siemens liefert die technischen Lösungen, während wir Finanzierungsmodelle für neue Märkte und Technologien bieten – von e-Mobilität-Projekten bis zu Batteriespeicher-Lösungen. Schon heute ist SFS einer der führenden Akteure bei der Projektfinanzierung im Bereich der erneuerbaren Energien. So haben wir uns an der Finanzierung von zahlreichen Wind- und Solarkraftwerken auf der ganzen Welt beteiligt, die es bislang zusammen auf eine Leistung von mehr als 18 Gigawatt bringen. Damit tragen wir dazu bei, über zehn Millionen Haushalte jährlich mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen. Außerdem unterstützen wir weitere Player über die Siemens Bank – unter anderem das schwedische Unternehmen Northvolt beim Bau einer Gigafabrik für Lithium-Ionen-Batterien in Europa.

Auch andere Unternehmen integrieren verstärkt Finanzdienstleistungen in ihre Prozesse und Produkte. Wo sehen Sie für Siemens die besonderen Chancen dieser Integration? 

Als Finanzierungsarm von Siemens ist es unser Alleinstellungsmerkmal, Technologie und Finanzierung kombiniert anzubieten. Ein Beispiel: Unternehmen in der Fertigungsindustrie erhalten von uns integrierte Lösungen, um ihre Ökobilanz und ihren Vertrieb zu optimieren. So hat etwa unser Kunde TrakRap eine Verpackungsmethode entwickelt, die den Kunststoff- und Energieverbrauch um 70 Prozent bzw. 90 Prozent senkt. Wir unterstützen mit einem „Pay-per-Wrap“ Modell, das keine hohen Vorabinvestitionen der Endkunden erfordert. Generell erleben wir aktuell auch eine steigende Nachfrage nach innovativen Finanzierungsmodellen wie „Pay for Performance“. Zahlungen können dabei an das Erreichen spezifischer Unternehmensziele gekoppelt werden, sei es die Zunahme an Produktivität, Energieeffizienz, Qualität oder Agilität.

Wird die verstärkte Nutzung von Daten und Künstlicher Intelligenz ihr Geschäftsmodell an der Schnittstelle zwischen Industrie und Finanzen verändern?

In der Industrie 4.0 definieren vernetzte Maschinen und die professionalisierte Verwendung von Daten nicht nur die Spielregeln neu – sie bestimmen auch, wer mitspielen darf. Die MindSphere World, eine von Industrie, KMU und Finanzinstitutionen getragene Initiative, bietet einen idealen Rahmen, das IoT-Ökosystem gemeinsam weiterzuentwickeln. So wie digitale Plattformen die Art und Weise revolutioniert haben, wie wir Musik hören oder Filme schauen, so ändern sich auch Geschäftsmodelle im B2B-Bereich. Die BentoNet GmbH beispielsweise, an der SFS seit diesem Jahr zu 50 Prozent beteiligt ist, hat eine „Software as a Service“-Plattform für die Energiewirtschaft entwickelt. Mit dieser können Energieerzeuger, Anlagenhersteller und Softwareentwickler gemeinsam Applikationen konzipieren und damit skalierbare Lösungen schaffen. Plattformen wie BentoNet stellen die Weichen für eine vernetzte und datengesteuerte Energieinfrastruktur.

Wie kein anderes Unternehmen steht Siemens dafür, die realen Welten mit den digitalen Welten zu verbinden. Wenn sich unsere Finanzexperten mit der IoT-Fähigkeit neuer Produkte auseinandersetzen, erkennen sie frühzeitig, was künftig in der Risikobewertung wichtig sein wird.

Wo sehen Sie die Zukunftstrends und -chancen im Finanzsektor?

Wir sehen einen klaren Trend zu Investitionen in eine widerstandsfähigere Infrastruktur, die auf kaum vorhersehbare Entwicklungen vorbereitet ist und auf diese Weise auch sicher und funktionsfähig bleibt – das gilt etwa für medizinische Einrichtungen, Rechenzentren oder Energienetze. Zudem ist eine grundlegende Transformation des Industriesektors zu beobachten, der heute etwa 54 Prozent der weltweit erzeugten Energie verbraucht. Wir beobachten ein hohes Interesse, Produktionsprozesse energieeffizienter und nachhaltiger zu gestalten. Als Finanzierungspartner mit langjähriger Erfahrung im Thema Nachhaltigkeit können wir hier einen Beitrag leisten. Wir ebnen mit innovativen, individuellen Finanzierungslösungen den Weg zu betrieblicher Flexibilität und verbessern dadurch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden.