
von Nick Jue
Unternehmen wie Amazon, Apple, Spotify, Zappos, Netflix oder Google haben mit ihren Geschäftsprozessen Maßstäbe für die Bereitstellung von Dienstleistungen gesetzt. Die Stärke dieser Firmen liegt darin, ganz nah am Kunden zu sein und dessen Wünsche schnell und einfach zu erfüllen.
Diese Customer Experience hat auch für andere Anbieter Folgen. Denn Kunden erwarten beim Einkauf sämtlicher Waren und Dienstleistungen, mit der gleichen hohen Convenience bedient zu werden.
Digitalisierung macht Dienstleistungen und Produkte 24 Stunden am Tag verfügbar. Märkte und Geschäftsmodelle verändern sich so schnell wie nie zuvor, Innovationszyklen werden immer kürzer. Unternehmen und ihre Kunden begegnen sich in dieser durch Plattformen und Austausch geprägten Ökonomie als Partner auf Augenhöhe. So bunt, vielfältig und dynamisch die gesellschaftliche Realität ist, muss daher auch die interne Unternehmenswelt organisiert sein.
Banken bilden da keine Ausnahme. Bei der ING sind wir davon überzeugt, dass es eines grundlegenden Wandels der Organisationsstruktur und der sie tragenden Unternehmenskultur bedarf, um als Anbieter von Finanzdienstleistungen auch künftig erfolgreich zu sein. Banken müssen vor allem in der Lage sein, die sich dynamisch verändernden Kundenwünsche schnell zu identifizieren, in unternehmerisches Handeln umzusetzen und dann in Form von passgenauen Produkten und Dienstleistungen innerhalb kürzester Zeit an die Kunden zurückzugeben. Erfolgsentscheidend sind vor allem ein deutlich zügigerer Time-to-Market und Time-to-Volume.
Es geht aber nicht nur um Schnelligkeit. Banken, die in Zukunft erfolgreich sein und bleiben wollen, müssen
- ein transparentes, einfaches und bequemes Kundenerlebnis bieten,
- digitale Plattformen sein, auf der Menschen alle ihre finanziellen Angelegenheiten jederzeit und überall problemlos erledigen können,
- Produkte und Services entwickeln, die auch über das Banking hinausgehen,
- mit ihrem Angebot in größere Systeme wie Facebook oder YouTube integriert sein, in denen Verbraucher einen Großteil ihrer Online-Zeit verbringen, und in denen die Produkte und Services verschiedenster Anbieter verfügbar sind.
Agilität als Antwort der Unternehmenskultur auf den technologischen Paradigmenwechsel
Dieser grundlegende Wandel gelingt nur mit Agilität. Bei Agilität handelt es sich weder um eine Strategie noch um ein Projekt. Agilität ist vielmehr eine Denkweise und Mentalität aus der Software-Welt, um Entwicklungen und Prozesse flexibler zu gestalten. Die Nähe zur Digitalisierung kommt nicht von ungefähr: Agilität ist die Antwort der Unternehmenskultur auf den digitalen Wandel. Um agil arbeiten zu können, müssen Banken zunächst ihre traditionellen, oftmals über viele Jahrzehnte gewachsenen Organisationsstrukturen aufbrechen. Die Zahl der Hierarchiestufen reduziert sich, interdisziplinäre Teamkonstellationen treten an die Stelle von Silos. Konkret heißt das, dass Fachbereich und IT in einem Team und an einer Aufgabe zusammenarbeiten und Prozesse von Anfang bis Ende umgesetzt sowie verantwortet werden.
Zur Effizienz gehört auch die Etablierung einer Failfast-Kultur. Wenn zum Beispiel eine Idee nicht zum gewünschten Erfolg führt, kann diese zu einem frühen Zeitpunkt verworfen werden. So können gewonnene Erkenntnisse direkt in die nächste Idee oder in ein nächstes Projekt einfließen. Fokussierung und Priorisierung spielen dabei eine zentrale Rolle. Das Innovationstempo beschleunigt sich dadurch erheblich.
Vorreiter bei der Umsetzung in die unternehmerische Praxis
Gerade in international tätigen Banken entsteht eine weltweit agile Arbeitsorganisation nicht über Nacht. Wir setzen daher einen global verbindlichen Rahmen, der genügend Raum für die Berücksichtigung kultureller Unterschiede in den jeweiligen Märkten lässt. Die Steuerung vor Ort erfolgt durch ein lokales interdisziplinäres TransformationsTeam. Neben der Planung und Umsetzung agiler Strukturen und dem Implementieren einer agilen Kultur hat dieses Team die wichtige Aufgabe, unter den Mitarbeitern Begeisterung für den neuen Weg zu wecken und ihnen zugleich Gewissheit zu geben, auch mit Bedenken und Unsicherheiten ernst genommen zu werden.
Auf dieser Basis werden bis zum Sommer 2019 alle Organisationseinheiten der ING in Deutschland agil arbeiten. Das Institut ist damit die erste Bank in Deutschland, welche die gesamte Organisationsform konsequent auf agiles Arbeiten ausrichtet.
Als Leitfaden für die Umsetzung dient uns der eigene „One Agile Way of Working“ (OAWOW). Der OAWOW basiert auf getesteten agilen Arbeitsmethoden und ist durch Best Practices und Learnings verschiedener ING Units und anderer Unternehmen inspiriert. Er basiert auf den Prinzipien „Stärkung der Mitarbeiter“, „Einbeziehung der Kunden“ und „Einheitliches Organisationsdesign und einheitliche Arbeitsweisen“ und wird global angewendet.
Während der OAWOW eher die organisatorischstrukturelle Ebene des agilen Wandels abdeckt, defi niert der „Orange Code“ die wichtigsten Verhaltensweisen der Mitarbeiter innerhalb der ING Group. Essenziell ist eine off ene Fehlerkultur, eine Mentalität, sich gegenseitig dabei zu helfen, erfolgreich zu sein und Initiative zu entwickeln. Agile Arbeitstechniken wie Scrum, Kanban und PACE geben dieser Philosophie des agilen Arbeitens den methodischen Rahmen.
Agile Projektgruppen entwickeln umsetzungsreife Ideen in Teamstrukturen wie „Squads“ oder „Tribes“. Dort priorisieren die Mitglieder gemeinsam die Projekte, legen die Teilziele fest und verteilen die Aufgaben. Fortschritte, Hindernisse und Erfolge teilen alle Teammitglieder in einem so genannten „Daily Standup“ mit dem Team. Der engmaschige Austausch erlaubt von Anfang an das frühzeitige Identifi zieren der vielversprechendsten Vorhaben und Vorgehensweisen. Zugleich wird die EndtoendVerantwortung jedes Einzelnen gestärkt, die Mitarbeiter bekommen einen direkteren Bezug zu ihrer Tätigkeit und deren Ergebnissen und erkennen ihren Beitrag zum Erfolg unserer Bank.
Beim agilen Arbeiten geht es also um die Kraft der guten Argumente statt um langwierige Entscheidungsprozesse, um den kurzen Weg zur Umsetzung statt den Marathon durch interne Hierarchien. Für uns bildet Agilität die beste Möglichkeit, die Stärken der Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen effizient zum Wohle der Kunden einzubinden und zugleich die Mitarbeitermotivation zu erhöhen.
Die Bank der Zukunft ist ein Partner für ihre Kunden in vielen Lebensbereichen, und das kann sie nur, wenn sie agil handelt – und damit den dynamischen gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestaltet.
Nick Jue, CEO ING-DiBa, Head of ING Germany, Austria & Czech Republic