Der Klimawandel wird zur Überlebensfrage der Finanzindustrie

Der Klimawandel wird zur Überlebensfrage der Finanzindustrie

Interview mit Hannah Helmke, Co-Gründerin und Geschäftsführerin right. based on science

Für Finanzinstitute und Anleger wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Mit dem XDC-Modell lässt sich messen, wie stark eine Anlage oder ein Unternehmen zur Klimaerwärmung beiträgt.

Sie messen mit Ihrem X-Degree Compatibility (XDC) Modell den Beitrag eines Unternehmens zur Klimaerwärmung. Auch andere Startups ermitteln die Klimafolgen von Investitionen. Welche Lücke deckt Ihr Unternehmen ab?

Unser Modell beantwortet die Frage „Wie stark würde sich das Klima erwärmen, wenn bis 2050 alle genauso wirtschaften würden wie das Unternehmen oder Portfolio, das wir betrachten?“ Das Ergebnis drücken wir konkret in Grad Celsius aus. Besonders daran, ist dass das Modell für und mit der Realwirtschaft entwickelt wurde, aber inzwischen auch auf Portfolios und diverse Assetklassen angewendet werden kann. Es schlägt so die Brücke zwischen Kapitalmarkt, wo gerade viel Dynamik in Sachen Klima entsteht, und Realwirtschaft, wo die Emissionseinsparungen umgesetzt werden müssen.

Die EU entwickelt mit der Taxonomie neue Kriterien für die Nachhaltigkeit von Finanzanlagen. Inwieweit decken sich die Kriterien mit Ihrem Modell?  

Die EU-Taxonomie definiert einheitliche Kriterien, um Investitionen als ‚nachhaltig‘ einordnen zu können. Was dabei aber aus dem Blick gerät, ist die Transition – also Unternehmungen, die nach diesen Anforderungen noch nicht als nachhaltig kategorisiert werden können, die aber auf dem Weg dahin sind. Um das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, ist ein solcher Umbau der Wirtschaft aber erfolgsentscheidend. Unser Modell ist zukunftsgerichtet und projiziert Entwicklungen bis ins Jahr 2050. Das bietet Transitionsunternehmen sowie den Geldinstituten und Investoren, die sie finanzieren, die Möglichkeit zur aktiven Steuerung in Richtung des 1,5 Grad-Ziels.

Was können Ihre Klima-Metriken erreichen?

Zum einen können sie mobilisieren. Die Greifbarkeit einer Grad Celsius Zahl setzt unheimlich viel in Bewegung, ob bei Investoren, CEOs oder Mitarbeitenden. Zum anderen bieten wir mit der Verbindung aus Ökonomie und Klimawissenschaft, die dem XDC Modell zugrunde liegt, eine gemeinsame Sprache für Wirtschaft, Finanzmarkt und Wissenschaft an. Damit bieten wir strategischen Investment- und Geschäftsentscheidungen eine wissenschaftliche Grundlage, so dass eine Transition in eine Zukunft unter 1,5 Grad Erderwärmung noch möglich gemacht wird. Dafür bleiben uns schließlich nur noch wenige Jahre.

Ist Nachhaltigkeit nur ein Trend oder ein wirklicher Erfolgsfaktor für die Finanzindustrie?

Nachhaltigkeit würde ich nicht als Trend bezeichnen, sondern als Notwendigkeit und Konsequenz, die sich aus dem Handeln der vergangenen Dekaden ergibt. Für die Finanzindustrie insgesamt ist das Thema Nachhaltigkeit, vor allem mit Fokus auf Klimawirkungen, recht neu. Aber allein in den letzten fünf Jahren seit unserer Gründung hat sich hier unheimlich viel getan. Das Interesse und Verständnis für die Bedeutung dieses Themas wächst rasant. Das ist erfreulich.

In Sachen Kundengewinnung und Wachstum kann das Thema Nachhaltigkeit durchaus ein Erfolgsfaktor sein. Ich schließe mich allerdings eher der Sichtweise von Mark Carney an, dem ehemaligen Gouverneur der Bank of England und Vorsitzenden des Financial Stability Board an, der das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere mit Blick auf den Klimawandel, als Überlebensfrage von Finanzinstituten sieht. Die Finanzindustrie kann es sich schlicht nicht leisten, Nachhaltigkeitsrisiken zu ignorieren.

Sie haben mal gesagt, dass Sie sich freuen würden, wenn BlackRock mit Ihrer Technik die Klima-Erwärmung aller Anlagen unter 2 Grad halten würde. Hat sich die Investmentgesellschaft schon bei Ihnen gemeldet? Oder im Ernst: Welche Kunden erreichen Sie in der Finanzbranche?

Wir sind mit mehreren der großen Marktakteure im Austausch, insbesondere da das Interesse am sogenannten ‚Temperature Alignment‘ von Investitionen im vergangenen Jahr stark zugenommen hat. In vielen großen Häusern wird allerdings noch intensiv diskutiert, ob für solche Analysen auf externe Dienstleister zurückgegriffen werden soll oder ob inhouse eigene Lösungen entwickelt werden. Wir sind stolz darauf, dass wir der einzige Anbieter von Temperature Alignment Metriken sind, der noch unabhängig ist. Wir setzen da bewusst auf eine andere Strategie: Ende 2021 wird unser Modell als Open Source Projekt zur Verfügung stehen, denn wir glauben an Offenheit und Kollaboration statt an Blackboxen. Unsere Kunden aus dem Finanzmarkt schätzen diese Haltung sehr, zu ihnen gehören sowohl Banken wie etwa die GLS Bank als auch Pensionskassen, Family Offices und Asset Manager.

Sehen Sie die Gefahr von Greenwashing in der Branche?

Diese Gefahr ist ohne Zweifel groß – das mag in manchen Fällen bewusste Absicht sein, in den meisten Fällen ist es eher die Folge von einer gewissen Überforderung. Die Klimawissenschaft ist außerordentlich komplex. Es ist kaum möglich, dieser Komplexität mit einfachen Ratings Rechnung zu tragen. Deshalb legen wir auch ganz bewusst unseren Fokus auf dieses eine, eng abgesteckte Feld innerhalb der großen Sustainability-Landschaft: Klimawirkung. Das erlaubt uns, hier wirklich in die Tiefe zu gehen und wissenschaftlich fundierte Lösungen zu entwickeln, die einfach zu kommunizieren sind. Eine wissenschaftlich fundierte Herangehensweise ist die beste Möglichkeit für Akteure Risiken, die sich aus dem Greenwashing ergeben, zu vermeiden.