Vom High-Tech-Auto zum Mobilitätserlebnis

Die Automobilindustrie entdeckt die Customer Journey

von Thomas Richter

Automobilhersteller werden mehr und mehr zu Mobilitätsanbietern. Statt auf die Fahrzeugtechnik müssen sie sich nun auf das Mobilitätserlebnis der Kunden fokussieren und die gesamte „Customer Journey“ mit personalisierten, maßgeschneiderten Angeboten abdecken.

Die Automobilbranche wird mehr und mehr Teil eines digital organisierten Mobilitätsangebots, das weit über das Auto als technisches Produkt hinausreicht. Sie wird auf diese Weise selbst zu einer digitalen Branche, was auch ihr Verhältnis zu den Kunden grundlegend verändert. Es reicht künftig nicht mehr ein neues Modell vorzustellen, Probefahrten zu vereinbaren, Kundendienst und Winterreifen anzubieten. Die Kunden erwarten auch von Mobilitätsanbietern eine komplette Leistung, die lückenlos alle Aspekte abdeckt und so für ein umfassendes Mobilitätserlebnis sorgt. Nur so lassen sich in einer veränderten Mobilitätswelt die bestehenden Kunden langfristig an eine Marke binden; und nur so lassen sich Kunden gewinnen, denen der emotionale Bezug zum Automobil fehlt.

Das verändert vieles. Dreht sich bei Automobilherstellern bisher alles um das Fahrzeug und seine hochentwickelte Technik, so muss es künftig um den Nutzer gehen und seine Bedürfnisse und Präferenzen müssen die Anbieter kennen. Bislang ist das kaum der Fall. Automobilhändler kennen vielleicht Beschaffungszyklen und technische Vorlieben, wissen aber nur wenig über das soziale Umfeld und Verhaltensweisen ihrer Kunden. Um ein Mobilitätserlebnis zu schaff en, müssen Hersteller die gesamte Customer Journey abdecken und mit personalisierten, maßgeschneiderten Angeboten unterstützen können. Diese Aufgabe ist nicht beendet, wenn der Nutzer die Autotür hinter sich schließt.

Automobilhändler kennen vielleicht Beschaffungszyklen und technische Vorlieben, wissen aber nur wenig über das soziale Umfeld und Verhaltensweisen ihrer Kunden.

Durch die umfassende Einbindung ins Internet, wie sie im Konzept des Connected Car realisiert wird, sind die für die Customer Journey nötigen Daten vorhanden. Die technischen Voraussetzungen für die Steuerung und Kontrolle der gesamten Customer Journey – und damit auch zu deren Monetarisierung – sind damit bereits vorhanden. Auf dieser Basis können Mobilitäts-Anbieter über ihre Customer-Journey-Lösung ihren Kunden umfassende individuelle und situationsbezogene Angebote machen, die alle Aspekte der Customer Journey abdecken. Fährt zum Beispiel ein Kunde mit seinem Auto zum Flughafen, so kann die Lösung feststellen, ob der betreffende Flug gestrichen wurde, sie kann dem Kunden dann gleich einen anderen Flug oder vielleicht eine Hotelübernachtung vorschlagen, sodass der Kunde nicht vergeblich zum Flughafen fährt. Welche Alternativen jeweils vorgeschlagen werden, hängt vom bisherigen Verhalten des Kunden und den in vergangenen Journeys manifestierten Präferenzen ab. Die entsprechenden Daten werden mittels KI ausgewertet und laufend optimiert; sie gehen schließlich in entsprechende Next-Best-Action-Angebote ein. In einem weiteren Schritt kann die Technologie dann sogar die Antizipation des Kundenverhaltens ermöglichen und damit das Kundenerlebnis weiter optimieren.

Doch es geht nicht nur um Angebote, die jeweiligen Leistungen entlang der Customer Journey müssen auch operativ umgesetzt werden: Das kann beispielsweise durch automatisierte, intelligente Prozess-Orchestrierung erfolgen. Die jeweiligen Subsysteme müssen voll integriert sein – von der Routenplanung über Flugpläne und ÖPNV bis zur Hotelbuchung. Entscheidend ist, dass die Mobility-Plattform das Kundenerlebnis wirklich von Anfang bis Ende abbildet: die Customer Journey ist in diesem Fall erst zu Ende, wenn der Reisende entweder im passenden Hotelzimmer oder zuhause angekommen ist.

Ein wichtiger Aspekt ist die Kanalunabhängigkeit. Steuerung und Kontrolle der Customer Journey müssen im Callcenter ebenso funktionieren wie im klassischen Web oder mobil. Der Ausgangpunkt kann dabei immer noch das Cockpit eines mit dem Web verbundenen Fahrzeugs sein, denkbar sind aber auch andere Startpunkte, beispielsweise Smartphones und Tablets, denn der Anspruch ist eben nicht mehr die technische Optimierung der Fahrzeuge, sondern die Optimierung des Kundenerlebnisses.

Die Customer Journey im Bereich der Mobilität ist keineswegs Zukunftsmusik, denn über eine wesentliche Voraussetzung verfügen die Automobilhersteller bereits: vielfältige Daten über die Kunden, beispielsweise aus vergangenen Journeys oder aus dem Connected Car. Nun kommt es darauf an, aus diesen Daten konkrete Angebote und Leistungen abzuleiten.

Thomas Richter, Industry Principal Automotive, Pegasystems GmbH