Interview mit Dr.-Ing. Steven Peters: Zwischen Realität und künstlicher Intelligenz

Dr.-Ing. Steven Peters, 1987, studierte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und promovierte im Jahr 2013 an der dortigen Fakultät für Maschinenbau. Nach seiner Postdoc-Zeit stieg er 2016 in die Konzernforschung der Daimler AG ein. Dort baute er das Team Artificial Intelligence Research auf, das gemeinsam mit allen Entwicklungsbereichen der Mercedes-Benz AG zukünftige Fahrzeugfunktionen und Entwicklungswerkzeuge auf Basis maschinellen Lernens erforscht. Das Team arbeitet eng mit nationalen und internationalen Universitäten und Startups zusammen.

Mythos und Realität der künstlichen Intelligenz, was kann sie und was kann sie nicht?

Künstliche Intelligenz ist ein Sammelbegriff für verschiedene mathematische Verfahren. Besonders dynamisch ist das Teilgebiet des maschinellen Lernens, das heute in den Medien häufig gleichgesetzt wird mit KI. Die Fortschritte im maschinellen Lernen der letzten Jahre zum Beispiel im Bild- und Sprachverstehen sind sehr beeindruckend, dennoch handelt es sich um „narrowintelligence“ also sehr eng auf das jeweilige Anwendungsgebiet begrenzte Fähigkeiten. Von daher ist der Begriff „Intelligenz“ eher irreführend und hat überhaupt nichts mit natürlicher oder gar menschlicher Intelligenz zu tun. Um es auf den Punkt zu bringen: Maschinelles Lernen bedeutet nichts anderes als mittels mathematischen Optimierungsverfahren Parameter zu fitten und dabei gewaltige Datenmengen zu benutzen.

Wird die Zukunft voller intelligenter Dinge sein, die uns Entscheidungen abnehmen werden?

Das hängt von uns allen ab. Wollen wir das? Wie gesagt KI ist ein Werkzeug – nicht mehr und nicht weniger. Mein Team bei Mercedes-Benz arbeitet intensiv mit Designer, Psychologen und Juristen an einem mensch-zentrierten Einsatz dieses Werkzeugs. Wir wollen, dass unsere Kunden und Mitarbeiter von den von uns entwickelten KI-Funktionen begeistert sind und sie mit Freude nutzen und nichtdass sie ihre Selbstwirksamkeit verlieren. Daher legen wir bei der Auswahl der Anwendungsfälle großen Wert darauf, v.a. anstrengende und manchmal nervige (Routine-)Aufgaben mit KI zu erleichtern oder gar zu teil-automatisieren, damit mehr Zeit für die kreativen und freudigen Themen bleibt. Wer fährt gerne im Stau? Wer sucht gerne Fehler in riesigen Datenbanken… da können wir ansetzen.

Für viele ist Datenschutz und künstliche Intelligenz ein Paradoxon. Woran liegt das und wie muss damit umgegangen werden?

Maschinelles Lernen benötigt enorme Datenmengen zum Training. Man kann sagen: Daten und ihre Qualität sind der Schlüssel jeder modernen KI-Lösung. Je nach Anwendungsfall kann es sich dabei um personenbezogene Daten handeln – denken wir beispielsweise an die Analyse von Verkehrsszenen, in denen Passanten zu sehen sind oder an Röntgenaufnahmen in der medizinschen Diagnostik. Die DSGVO gibt uns einen nachvollziehbaren gesetzlichen Rahmen, wie wir mit solchen Daten umgehen können. Darüber hinaus gehend haben wir bei Daimler in einem großen cross-funktionalen Team, an dem wir KI-Forscher intensiv beteiligt waren, vier KI-Prinzipien entwickelt, die unser Handeln leiten.

Sehen Sie künstliche Intelligenz als eine Befreiungstechnologie oder als Mittel zur totalen Überwachung?

Weder noch. Es ist ein Werkzeug, das die Produktivität in der gesamten Industrie steigern kann, in der Medizin zu verbesserten Diagnosen in der Fläche führen kann und den Verkehr sicherer und das Autofahren mit einem Mercedes noch schöner und luxuriöser machen kann. Dass jedes Werkzeug insbesondere von totalitären Staaten auch missbraucht werden kann, steht außer Frage und muss geächtet werden.

Was war der Beginn von künstlicher Intelligenz im Bezug auf die Automobilbranche?

Ein Datum kann ich nicht festmachen, die Technologie wird seit ihrem Entstehen in den 1950ger Jahren verwendet. Seit Ende der 1980ger Jahre wird bei Daimler u.a. mit neuronalen Netzen am Bildverstehen gearbeitet, was moderne Assistenzsysteme ermöglicht hat. Natürlich kann man in den letzten fünf Jahren eine neue Dynamik feststellen – insbesondere wird das Thema nun in voller Breite in wirklich allen Unternehmensbereichen betrachtet.

Welche kurzfristigen Ziele können in den nächsten Jahren in der Automobilbranche durch künstliche Intelligenz gestemmt werden?

Mit der gerade vorgestellten neuen S-Klasse hat Mercedes-Benz mit dem neuen MBUX, dem Interieur Assistant und der Fahrassistenz aus meiner Sicht weltweit Maßstäbe gesetzt. Mein Team arbeitet daran, dass die Pipeline für die nächsten Baureihen gut gefüllt bleibt – mehr möchte ich da aktuell nicht verraten.

Sind die größten Herausforderungen in der Implementierung von künstlicher Intelligenz ethischer oder technologischer Natur?

Ethische und rechtliche Fragestellungen sind absolut entscheidend, um die Technologie in immer mehr Anwendungsfällen auf den Markt bringen zu können und da sind wir in Europa und Deutschland auf einem guten Weg. Gleichzeitig gibt es technologische Herausforderungen wie beispielweise der hohe Energiebedarf beim sog. tiefen (maschinellen) Lernen oder auch noch besser erklärbare Modelle, an denen wir ebenfalls intensiv forschen.

Vielen Dank für das Gespräch.