Digitalisierte Arbeitswelt: Neugestaltung der Arbeitsformen

Neue Arbeitswelt

Die Brisanz der zunehmend beschleunigten Digitalisierung von Produkten, Prozessen und Dienstleistungen und ihre Auswirkungen auf betriebliche Abläufe, Organisationsstrukturen und die Arbeitsplätze von Beschäftigten wird in Expertenkreisen nicht mehr bestritten. Die Etablierung digital vernetzter und autonom agierender Systeme in der industriellen Produktion verändert nicht nur Prozessabläufe und Managementstrukturen, sondern auch den Arbeitsplatz jedes Einzelnen. Industriesoziologen und Arbeitswissenschaftler setzen sich wissenschaftlich mit diesen Veränderungen auseinander, Gewerkschaften diskutieren mit ihren Mitgliedern zu Rationalisierungseffekten und Arbeitsschutzfragen. In den Führungsriegen der Unternehmen werden die wirtschaftlichen Chancen und Risiken durch die Digitalisierung kalkuliert. Mit Einbezug all dieser Faktoren lassen sich die Arbeitsplätze der Zukunft aber durchaus gestalten.

Wie Mensch und Maschine zusammenarbeiten

Es entstehen neue Formen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Veränderte Aufgabenstellungen, Tätigkeiten und Rollen von Mitarbeitern sowie die dafür erforderlichen Qualifikationsprofile gehören zu den Herausforderungen und Chancen, mit denen sich Unternehmen jetzt auseinandersetzen. Um diese zu bewältigen, steht fest: Die Mitarbeiter müssen auf die zukünftige Arbeitswelt in der Industrie 4.0 vorbereitet und dafür weitergebildet werden.

In der Arbeitswelt der Zukunft spielt vor allem der technologische Fortschritt eine Rolle. Immer leistungsfähigere, hochminiaturisierte Computer-Hardware, Sensor-Netzwerke, intelligente Service-Roboter, 3-D-Druck und 3-D-Visualisierung, Big-Data-Analytik und Cloudbasierte Dienste ermöglichen besonders in ihrer Verknüpfung eine Fülle an Möglichkeiten für die Schaffung neuer, zukunftsweisender Geschäftsmodelle. Vor allem die Entwicklung autonomer Systeme, die eigenständig Prozesse ausführen können, wird die industrielle Fertigung in der Zukunft enorm verändern. Künftig können Kunden jedes Detail ihrer Turnschuhe individuell gestalten, denn die Fertigungsanlage ist intelligent genug, jeden Arbeitsschritt danach auszurichten. Hochkomplexe Fertigungsanlagen erkennen selbst, wann der nächste Austausch eines bestimmten Maschinenteils nötig ist, und bestellen automatisch das Ersatzteil rechtzeitig im Voraus. Und Inventuren finden künftig aus der Luft statt, in dem automatisch erkannt wird, welche Teile wo liegen und  direkt im System erfasst werden können. Neue Formen der Interaktion von Mensch und Technik, neue Aufgabenstellungen und damit verbundene neue Qualifikationsprofile sowie Erfordernisse beim Arbeits- und Datenschutz verändern das soziotechnische System grundlegend. Diese Herausforderungen müssen angenommen, bewusst und transparent gemacht und gemeinsam mit allen Beteiligten in eine Zukunftsperspektive mit neuen Chancen, sowohl für Unternehmen als auch Beschäftigte, gewandelt werden.

Assistenzsystem unterstützt Mitarbeiter am Arbeitsplatz

Erste praxisorientierte Forschungsprojekte entwickeln derzeit bereits Lösungsansätze für diese Herausforderungen. So auch zum Beispiel das Projekt „motionEAP“, das im Rahmen des Technologieprogramms „AUTONOMIK für Industrie 4.0“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird. Das Projekt „motionEAP“ arbeitet daran, Mitarbeitern ein Assistenzsystem zur Seite zu stellen, das sie bei verschiedenen Produktionsprozessen unterstützen kann. Auf Basis von Bewegungserkennung und –projektion übernimmt das System die Aufgabe des Einweisers und Ausbilders am Arbeitsplatz und hilft Mitarbeitern mit unterschiedlichem Leistungsniveau und fachlichem Hintergrund, ihre Aufgaben im laufenden Betrieb besser erfüllen zu können. Die zeitliche und räumliche Abfolge der Arbeitstätigkeiten kann dabei jederzeit flexibel verändert und an den Mitarbeiter angepasst werden. motionEAP fördert demnach nicht nur eine schnellere Einarbeitung und Weiterbildung bei neuen Produktionsabläufen, sondern unterstützt gleichzeitig leistungsgeminderte Angestellte entsprechend ihres individuellen Leistungsvermögens bei der Arbeit. Damit geht das Projekt gleich auf zwei bedeutsame Entwicklungen der heutigen Zeit ein: Es kombiniert die Neuerungen und Möglichkeiten der Digitalisierung mit den Auswirkungen des demografischen Wandels. Daher beschäftigt sich das Projekt nicht nur mit den technologischen Entwicklungen, sondern zusätzlich mit psychologischen und arbeitsethischen Fragen. So sind auch Psychologen und Philosophen an der Gestaltung dieser Art des Arbeitsplatzes der Zukunft beteiligt und beraten Forscher und Techniker zu Themen wie Inklusion, Belastungsgrenzen und Altersstrukturen. Insgesamt wird somit eine Lösung entwickelt, die ältere und eingeschränkte Mitarbeiter unterstützt und am Arbeitsmarkt teilhaben lässt.

Das Projekt ist ein Beispiel für die Chancen, die sich durch die Nutzung der neuen Technologien eröffnen und eine hilfreiche Interaktion von Mensch und Technik darstellen. Ebenso wichtig wie die Entwicklung und Realisierung von technischen Innovationen bleibt die Auseinandersetzung mit den damit zusammenhängenden Auswirkungen.

Über die Autoren

Gabriel_WischmannPeter Gabriel ist stellvertretender Projektleiter der Begleitforschung „Autonomik für Industrie 4.0“ und hat einen Lehrauftrag an der TU Berlin.

Dr. Steffen Wischmann ist als Berater im Bereich Gesellschaft und Innovation in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH tätig

Diesen und viele weitere Artikel zur Zukunft der Automobilindustrie finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals.

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