„Diese Pandemie kann man nicht einfach aussitzen“

„Diese Pandemie kann man nicht einfach aussitzen“

„Interkontinentale Verkehrsströme möglichst bald wieder öffnen“: Carsten Spohr fordert in der Coronakrise eine Teststrategie für den Luftverkehr. Im Interview verrät der Lufthansa-Chef, wie lange das Rettungspaket reicht, was er Fridays-for-Future antwortet und warum er sich auf die BER-Eröffnung freut.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Mehr als 100.000 Arbeitsplätze sichern“ (Foto: LH)

Herr Spohr, die Infektionszahlen steigen rasant, die Kanzlerin warnt vor Reisen. Steht der Flugverkehr bald wieder still?

Mein Eindruck ist, dass die Politik mit einer Art Slowdown einen echten Lockdown wie im Frühjahr abwenden will. Das mag in vielen Bereichen eine gewisse Logik haben. Dabei gerät aber aus dem Blick, dass Flugreisen selbst in den Sommerferien einen sehr geringen Anteil an den steigenden Infektionszahlen hatten.

Wie reagieren die Passagiere?

Wenn Regierungen neue Reisebeschränkungen wie Quarantäneregeln ankündigen, sehen wir das innerhalb von Stunden in unseren Buchungen. Normalerweise veröffentlichen wir Flugpläne zwei Mal im Jahr, inzwischen müssen wir das täglich tun. 80 Prozent der Ziele in Europa steuern wir aber auch über den Winter an, allerdings deutlich seltener und mit kleineren Flugzeugen. Bei einigen Urlaubszielen wie Griechenland, großen Teilen Italiens oder auch Zypern müssen Rückkehrer aber auch aktuell keinerlei Beschränkungen in Kauf nehmen. Aber der Flickenteppich unterschiedlicher Regeln verdirbt vielen die Reiselust.

Und auf der Langstrecke?

Die wichtigste Voraussetzung, um die Beschränkungen bald aufheben zu können, ist eine gezielte Teststrategie, also verbindliche negative Tests bei Abflug oder Rückkehr. Aktuell kommen Schnelltests in großen Stückzahlen auf den Markt, die rund sieben Euro pro Stück kosten und in 15 Minuten ein zuverlässiges Ergebnis liefern. Darauf setzen wir große Hoffnungen. So könnten wir etwa wieder mehr Flüge nach Nordamerika ermöglichen – sobald die Behörden auf beiden Seiten des Atlantiks erlauben, dass negativ getestete Reisende wieder ins Land dürfen. Wir würden gern so bald wie möglich mit den ersten Pilotstrecken starten.

Die Regierung setzt gerade aber andere Prioritäten.

Ich bin sicher, dass auch die Politik die Reisefreiheit nur vorübergehend einschränken möchte. Deutschlands Wohlstand und seine Stärke als führende Exportnation hängen ja zusammen. Die Menschen, mit denen wir Geschäfte verhandeln und die unsere Produkte kaufen, müssen wir kennen. Für einige Monate lässt sich das aussetzen, wie wir aktuell sehen, aber auf Dauer wird sich eine globale Wirtschaft nicht auf den Austausch von Gütern, Daten und Finanzströmen reduzieren lassen. Das können gerade wir uns als global vernetztes Land nicht leisten. Deshalb ist es notwendig, interkontinentale Verkehrsströme möglichst bald wieder zu öffnen.

Die Lufthansa verlor zuletzt mehr als 400 Millionen Euro – pro Monat. Muss sich der Steuerzahler Sorgen machen, ob das Rettungspaket aus dem Sommer ausreicht?

Mit dem Stabilisierungspaket wollen wir durchhalten, bis es zu einer Wiederbelebung des globalen Flugverkehrs kommt. Schon heute arbeiten wir Tag
und Nacht an der Reduzierung unseres Liquiditäts-Abflusses, um sobald wie möglich Kredite und Einlagen zurückzahlen zu können. Zu Beginn der Krise haben wir eine Million pro Stunde verloren; durch unsere enormen Anstrengungen, Kosten zu senken, konnten wir diesen Wert inzwischen halbieren.

Sie fragen 2021 nicht nach einem Nachschlag?

Eine noch höhere Verschuldung wäre für uns gar nicht tragbar, weil wir dann im internationalen Wettbewerb nicht bestehen könnten. Und ganz nebenbei: Das Aktienpaket, das der Bund im Sommer erworben hat, ist im Vergleich zum Einstiegspreis aktuell drei Mal so viel wert.

Der Ryanair-Chef hat die Lufthansa als ‚süchtig nach Subventionen‘ bezeichnet und der Wizz-Air-Chef meint, die Regierung hätte gutes Geld schlechtem Geld hinterhergeworfen.

Offenbar werden da Wettbewerber, deren Geschäftsmodell mit Tickets zu extremen Niedrigpreisen schon vor Corona an seine Grenzen gekommen war, jetzt nervös. Tatsächlich ist es so, dass alle global agierenden Fluglinien staatliche Unterstützung erhalten. Anders lässt sich interkontinentaler Luftverkehr in Zeiten einer Pandemie nicht aufrechterhalten. Bei Ultrabillig-Airlines, die ausschließlich Kurzstrecken fliegen und dabei zum Teil fragwürdige Personalpolitik betreiben, sieht das etwas anders aus. Trotzdem haben übrigens auch die genannten Fluglinien staatliche Hilfen in Anspruch genommen.

Die Flotte verkleinern Sie um 150 Flugzeuge, von aktuell 130.000 Stellen sollen 27.000 abgebaut werden. Warum kommen die Verhandlungen mit den Gewerkschaften nicht voran?

Das Tempo ist langsamer, als ich es mir wünsche und die Krise es eigentlich erfordert. Die Situation ist aber für beide Seiten völlig neu. Nach Jahrzehnten des Wachstums mit deutlich besseren Einkommen und Sozialleistungen im Vergleich zu Wettbewerbern, sprechen wir jetzt über Schrumpfung und den Abbau zehntausender Stellen. Es ist unsere klare Intention, die Restrukturierung mit möglichst wenigen betriebsbedingten Kündigungen zu bewältigen, aber dafür brauchen wir die Mitwirkung der Tarifpartner.

Diese Pandemie kann man nicht einfach aussitzen. Gelingt es uns nicht, Krisenvereinbarungen abzuschließen, würde dies die Situation der Arbeitnehmer zusätzlich verschärfen, und das gilt es zu vermeiden. Unser Ziel: mehr als 100.000 Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern, obwohl wir in den nächsten Jahren nicht einmal annähernd genug Beschäftigung für all diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben werden.

Gewerkschafter kritisieren, dass Lufthanseaten dazu gedrängt würden, neue Verträge zu schlechteren Konditionen zu unterschreiben.

Sie sprechen die Eurowings-Langstrecke an: Die Konditionen in diesem Geschäft bleiben exakt auf dem gleichen Niveau wie vor der Krise. Einziger Unterschied: Um trotz Schrumpfung der Eurowings Langstrecken Flotte möglichst viele Kolleginnen und Kollegen vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren, bieten wir Teilzeitverträge mit den entsprechenden Abschlägen an. So können wir auch dort mehr Jobs erhalten.

Während die Mitarbeiter in Sorge sind, sind viele Kunden noch sauer, weil sie lange auf die Rückerstattung ihrer Tickets für ausgefallene Flüge warten mussten. Wie wollen Sie diese zurückgewinnen?

Ich kann verstehen, dass Kunden sich über die Verzögerungen, die wir im Sommer hatten, geärgert haben. Dafür habe ich mich ja auch bereits öffentlich entschuldigt. Aber wir halten unser Versprechen: Jeder Kunde mit berechtigtem Erstattungsanspruch bekommt sein Geld zurück. 1800 Erstattungen leisten wir im Moment – pro Stunde. Allein im dritten Quartal haben wir zwei Milliarden Euro ausgezahlt. Unsere Mitarbeiter in den Service-Centern arbeiten am Anschlag.

Davon unabhängig ist es für uns als Dienstleistungs-Unternehmen eine Daueraufgabe, die Kunden immer wieder neu von unseren Angeboten zu überzeugen. So sind wir vor Corona zur viertgrößten Airline Gruppe der Welt aufgestiegen. Das haben wir vor allem durch Premium-Qualität erreicht, und das bleibt auch in Zukunft unser Anspruch.

Auch, wenn noch nicht alle Berliner daran glauben, soll nächste Woche der neue Flughafen BER eröffnen. Werden Sie Tegel vermissen?

Ja. Wenn ich vormittags einen Termin in Berlin hatte, saß ich wegen der kurzen Wege nach Tegel am Nachmittag schon wieder am Schreibtisch in München oder Frankfurt. Aber das ist verschmerzbar.

Zur BER-Einweihung sollen je ein Flugzeug von Lufthansa und Easyjet parallel landen. Es muss Sie doch ärgern, dass ein Billigflieger ihnen ausgerechnet in der Hauptstadt jahrelang davonflog?

In der Krise zeigt sich, auf wen Verlass ist. Wir sind jedenfalls stolz darauf, pünktlich zum Start des Hauptstadtflughafens wieder Marktführer in Berlin zu sein. Und das mit großem Abstand: Die Lufthansa-Gruppe bietet aktuell doppelt so viele Flüge von und nach Berlin an wie die Nummer zwei. Von 15.000 Flügen, die im September und Oktober in der Hauptstadt starten, entfallen ein Drittel auf unsere Airlines.

In Berlin fühlt man sich traditionell eher vernachlässigt von der Lufthansa. Wenn Deutschland neun Milliarden in einen Konzern investiere, dann dürften davon nicht nur die Standorte Frankfurt und München profitieren, forderte der BER-Chef kürzlich.

Zunächst: Die Stabilisierungsmittel unser vier Heimatregierungen sind Kredite und Einlagen, die wir vollständig zurückführen werden. Und die Berlinerinnen und Berliner sehen an unserem aktuellen Angebot, was sie an uns haben. Aber ja, wir mussten in den letzten Jahren öfter zur Kenntnis nehmen, dass sich der Flughafenbetreiber immer wieder neu in andere Fluglinien verliebt hat. Doch die Partnerschaften waren selten von Dauer. Wir aber sind Berlin treu. Über die letzten Jahrzehnte hinweg sind die meisten Passagiere mit Lufthansa in die Hauptstadt geflogen. Wir arbeiten im Interesse Berlins weiter daran, unsere führende Position am BER auszubauen.

Eine alte Forderung ist, mehr Langstreckenflüge anzubieten. Das müsste in der größten Stadt der größten Volkswirtschaft Europas doch möglich sein?

Wenn es sich rechnen würde, würden das viele Fluglinien sofort anbieten. Und wir natürlich auch. Verschiedene Versuche gab es ja, aber es hat leider nie funktioniert. Auch unsere arabischen oder amerikanischen Wettbewerber entscheiden sich für Frankfurt, München oder Düsseldorf, obwohl sie stattdessen auch Berlin anfliegen könnten.

Tatsächlich haben wir in Deutschland historisch bedingt die außergewöhnliche Situation, dass die meisten Langstreckenflüge nicht in der größten Stadt des Landes starten und landen, sondern in den Drehkreuzen. Grund ist unsere föderale Struktur, denn anders als Paris oder London ist keines der Einzugsgebiete hierzulande groß genug, um ein Langstreckenflugzeug zu füllen. Dafür braucht es zwischen 40 bis 60 Zubringerflüge. So ist auch Berlin gut angebunden. Im Normalbetrieb können unsere Kunden mit nur einmal Umsteigen 270 Ziele weltweit erreichen.

Was ändert sich durch den BER dann eigentlich – außer, dass aus zwei Flughäfen einer wird?

Bei aller Tegel-Melancholie: Berlin bekommt endlich einen modernen Flughafen. Zwar mag es bei der Vorgeschichte noch schwer zu glauben sein, aber ich meine es ganz ernst, wenn ich sage, dass der BER ein zeitgemäßes Aushängeschild für eine moderne Metropole sein wird. Der erste Eindruck bei Besuchern wird sich jedenfalls stark verbessern. Für den europäischen oder deutschen Flugverkehr ändert sich allerdings strukturell ehrlicherweise nichts. Das Verkehrsvolumen, das vorher auf zwei Flughäfen verteilt war, läuft künftig über einen.

Bei der Eröffnung könnten Sie nächste Woche auf Klimaaktivisten treffen, die dort gegen den ‚Wahnsinn‘ protestieren wollen. Was sagen Sie Fridays-for-Future?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die globale Gesellschaft und eine moderne Weltwirtschaft ohne Luftverkehr nicht funktionieren. Gleichzeitig ist klar, dass Absurditäten wie 9-Euro-Tickets ökologisch und ökonomisch unverantwortlich sind. Dieses künstliche Wachstum haben wir noch nie mitgemacht und schon vor der Krise kritisiert. Für uns bleibt Klimaschutz wichtig, auch in der Pandemie. Und über unsere Plattform Compensaid haben Passagiere die Möglichkeit, nicht-fossilen Kraftstoff für ihren Flug einzukaufen und so bereits heute CO2-neutral zu fliegen.

Bei all dem darf aber nicht übersehen werden: Fliegen hat einen unschätzbaren Wert für Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Völkerverständigung. Die Verbindung zwischen Kontinenten macht die Welt stabiler und friedlicher, der Tourismus ist gerade für strukturschwache Regionen elementar und private Erfahrungen wie Auslandssemester oder Freundschaften quer über den Globus werden durch das Fliegen erst möglich.

Das Interview führte Felix Wadewitz.