Die Zukunft der Mobilität ganzheitlich gedacht

von Prof. Dr. Thomas Weber

Die COVID-19-Pandemie zeigt gerade anschaulich,welche Schlüsselrolle die Digitalisierung in der Krise spielt – sei es in Form von Home Office, Webkonferenzen oder digitalem Schulunterricht. Trotz Abstandsregeln und Veranstaltungsverbot kann so ein gewisser Arbeits- und Lebensalltag aufrechterhalten werden.

Im Verkehrssektor ermöglicht Digitalisierung vereinfacht gesagt ein besseres Mobilitätssystem. Die Zukunft der Mobilität wird aber nicht nur digital und damit smart sein, sondern gleichzeitig auch klima- und umweltfreundlich, komfortabel, sicher und vor allem bezahlbar. Und sie wird deutlich besser auf die individuellen Mobilitätsbedürfnisse zugeschnitten sein. So klar das Ziel ist, der Weg dorthin ist alles andere als einfach, denn die tatsächlichen Folgen der Digitalisierung, die Abschätzung von Technologiesprüngen und der Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen sind immer nur bedingt vorhersehbar.

Das Mobilitätssystem hat sich schon immer verändert und weiterentwickelt. Die gegenwärtig anstehenden Umbrüche finden allerdings in einem Ausmaß und Tempo statt, wie wir es bisher nicht erlebt haben. Die Auswirkungen von Klimaschutz, Energiewende, Antriebs- und Kraftstoffwechsel, Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung treffen gleichzeitig aufeinander. Sie entwickeln eine Sogwirkung, die das gesamte Mobilitätssystem Schritt für Schritt neu ausrichten wird, mit teilweise massiven Auswirkungen auf die Industrie und ihre Arbeitsplätze.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung im Herbst 2018 die Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) berufen, die als Expertengremium ganzheitlich auf die Mobilität von morgen blickt. Im Fokus stehen Klimaschutz im Verkehr, Anriebe und Kraftstoffe der Zukunft, Digitalisierung, Sektorkopplung, Standardisierung und nicht zuletzt die Sicherung des deutschen Mobilitäts- und Produktionsstandortes.

Verkehrswende und Energiewende sind zwei Seiten einer Medaille
Man kann nicht oft genug betonen, dass im Bereich des Individualverkehrs mittlerweile die Weichen hin zur Elektromobilität gestellt sind. Die Politik hat auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene Klimaregeln und -gesetze erlassen. Ohne emissionsfreie Antriebstechnologien werden die damit verbundenen Klimaziele bis 2030 und 2050 nicht zu erreichen sein. Dies gilt besonders für den Straßenverkehr mit Pkw, Lkw und Bussen, der für über 95 Prozent der Sektoremissionen des Verkehrs verantwortlich ist. Hinzu kommt die Energiewende, bei der die fluktuierenden erneuerbaren Energien schrittweise zum Rückgrat der Energieversorgung werden. Das gegenwärtige Energiesystem, das Strom und Wärme nach Bedarf herstellt, muss zu einem System weiterentwickelt werden, in dem Energieerzeugung (Angebot) und Bedarf (Nachfrage) zunehmend zeitlich entkoppelt sind. Wie das Mobilitätssystem der Zukunft muss das Energiesystem der Zukunft zunehmend ohne fossile Energieträger auskommen. Beide Systeme müssen zusammengedacht und zusammengeführt werden. Wasserstoff und Strom bilden dafür zukünftig die Grundlage, da sie direkt oder indirekt genutzt werden und die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr verknüpfen können. Ob und zu welchen Anteilen der Strom in der Mobilität direkt in beispielsweise batterieelektrischen Fahrzeugen eingesetzt wird oder als Wasserstoff in Brennstoffzellenfahrzeugen oder als strombasierte Kraftstoffe in Motoren und Triebwerken, darüber wird aktuell sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Expertenkreisen heftig diskutiert. Die Leistungsanforderungen und Einsatzprofile der Verkehrsmittel auf Straße und Schiene, im Wasser und in der Luft sind höchst unterschiedlich und lassen sich nach heutigem Stand nicht mit einer Technologie allein bedienen, wenn man Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Kostenaspekte mitdenkt. Daher ist Technologieoffenheit für die Zukunftssicherung zwingend – eine der Kernbotschaften aus dem aktuellen Fortschrittsbericht der NPM.

Schlüsselfaktor Digitalisierung
Neben sauberen und effizienten Antriebstechnologien spielt die Digitalisierung für die Mobilitäts- und auch die Energiewende eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht neben automatisiertem Fahren die weitreichende Vernetzung der Verkehrsmittel und Infrastrukturen. Und sie schafft neue Mobilitätsmodelle auf Basis von Datenplattformen. Die Digitalisierung ist das Schmiermittel der Zukunft der Mobilität. Wenn Signalanlagen, Verkehrsinformationen und Verkehrsteilnehmer in Echtzeit miteinander vernetzt sind und Informationen austauschen, kann die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer erhöht und gleichzeitig die Energieeffizienz gesteigert werden. Die Bündelung und Bereitstellung von Verkehrsdaten führt zur Entwicklung anbieterunabhängiger Mobilitätsplattformen, die maßgeschneiderte Angebote für alle ermöglichen. Zudem schaffen sie Anreize, so oft wie möglich auf umwelt- und klimafreundliche Alternativen umzusteigen. Die inter- und multimodale Mobilität, von der alle sprechen, ist dann Realität und wirkt sich entsprechend positiv aus.

Umsetzung anpacken und die Bevölkerung mitgestalten lassen
Insbesondere bei der Digitalisierung sind noch viele Fragen offen. Es fehlen umsetzungsfreundliche Rahmenbedingungen und Regelungen insbesondere im Hinblick auf die Erhebung, Verwaltung und Nutzung der Verkehrsdaten oder auch beim Einsatz von automatisierten Fahrzeugen. Aus der NPM heraus wird vor diesem Hintergrund im Frühjahr 2020 in Hamburg ein Reallabor zur intermodalen Mobilität in Kombination mit autonomem Fahren aufgesetzt. Ziel ist es, in einer konzentrierten Praxiserprobung, Konzepte und Möglichkeiten unter Alltagsbedingungen zu testen. Bürgerinnen und Bürger werden dabei aktiv eingebunden, um sicherzustellen, dass neue und digitale Mobilitätswelten begeistern und gesellschaftlich akzeptiert werden.

Die Gestaltung des Transformationsprozesses des Mobilitätssystems ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Hinzu kommen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Effekte der COVID-19-Pandemie, die zum momentanen Zeitpunkt noch bei Weitem nicht abzusehen sind. Jetzt erst recht braucht es Offenheit für neue, zukunftsorientierte technologische Entwicklungen, die nach konsequentem Rollout flächendeckend genutzt werden mit entsprechenden positiven Wirkungen. Der damit verbundene Innovationsschub hilft der deutschen Wirtschaft, sich für die Zukunft wettbewerbsfähig auszurichten, international anschlussfähig zu bleiben sowie Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen und zu erhalten. Durch ein entschlossenes und zügiges Handeln in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kann Deutschland zum Vorreiter und Leitmarkt einer „smarten Mobilität der Zukunft“ mit Chancen für alle Beteiligten werden.

Prof. Dr. Thomas Weber, Vize-Präsident acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Mitglied des Lenkungskreises der NPM

 

 

 

 

„Die Digitalisierung
ist das Schmiermittel
der Zukunft der Mobilität.“