Der Kunde im Driver’s Seat

Digitalisierung, Start-ups, Sharing, Big Data und der allgemeine Trend hin zu einem kundenzentrierten und serviceorientierten Markt stellen das Geschäftsmodell vieler Unternehmen in Frage. Industrieübergreifend fordern Kunden neue Erlebnisstandards, die sich zunehmend durch ein komplexes Serviceökosystem um das eigentliche Produkt herum definieren. Die Automobilbranche hinkt hier anderen Branchen hinterher, da sie sich noch nicht vom traditionellen, über Jahrzehnte optimierten Produkt(ions)fokus gelöst hat.

Dabei ist ein zunehmend konsumentenzentriertes Denken heute vor dem Hintergrund der Vernetzung von Fahrzeugen und der Entwicklung autonomen Fahrens unabdinglich. Denn bei beidem handelt es sich letztlich um höchst personalisierte Serviceangebote. Vermehrt verkünden CEOs in der Automobilbranche das Ziel, künftig einen großen Teil der Firmenumsätze durch Services generieren zu wollen. Für Automobilhersteller bedeutet ein entsprechendes Selbstverständnis also, die Entwicklung von einem reinen Fahrzeughersteller hin zu einem Mobilitätanbieter zu gestalten.

Wesentliche Voraussetzung dieses veränderten Geschäftsmodelles ist die intelligente Sammlung und Auswertung von konsumentenspezifischen Daten. Durch intelligente Personalisierung lassen sich zunächst die Differenzierung und daraus folgend die Wertschöpfung erhöhen. Umfragen haben ergeben, dass die Mehrheit der Millenials bereit wäre, Daten für einen aufgewerteten Service einzutauschen. Für Automobilhersteller ist es also entscheidend, intelligente Systeme zu schaffen, die Markt- und Konsumentendaten – online, on-board im Auto und on-site beim Händler gesammelt – auswerten und in 360° Profile kombinieren.

Dies erfordert ein prinzipielles Umdenken von einer fahrzeugzentrischen Sicht, in der ein Kunde die Eigenschaft eines Fahrzeuges darstellt, hin zu einer kundenzentrischen Sicht, in der ein Fahrzeug oder andere Services als Eigenschaft eines Kunden abgebildet werden. Ein typisches Beispiel ist die Fahrzeugabgabe beim Händler: „Vielen Dank für Ihre Schlüssel. Ihr Fahrzeug haben wir im System gefunden, aber wer sind Sie noch einmal?“

Viele der kundenrelevanten Interaktionsprozesse sind heute siloisiert und stark fragmentiert, sodass eine wertschöpfende Interpretation von Daten kaum möglich ist. Dies führt zu frustrierenden Kundenerlebnissen und verlorenen Leads.

Kooperationen als Chance

Auch strategische Partnerschaften mit – teilweise branchenfremden – Drittanbietern werden aus zwei Gründen für Automobilhersteller immer wichtiger: Erstens verfügen diese über wertvolle Informationen, die unabdingbar für die Gestaltung personalisierter Services sind. Und zweitens können Drittanbieter den Automobilherstellern helfen, Innovation zu beschleunigen. Denn in der Hardware, aber vor allem in der Software verlieren Hersteller immer mehr den Anschluss an ihre Kunden. Es stellt sich die Frage: Werden diese zukünftig ein teures Hersteller-Infotainmentsystem kaufen oder ihr Smartphone nutzen? Hier diktieren schon heute Player wie Apple und Google die Standards, und Tesla zeigt was möglich ist: Echtzeit-Updates über Nacht und digitales Tuning – nur realisierbar durch eine offene Schnittstellenarchitektur.

Von monolytischen Systemen hin zu modularen Mikroservices

Diese Veränderungen bergen auch tiefgreifende Implikationen für die Systemarchitektur der Fahrzeuge und der Service IT. Es ist dringend notwendig, Komplexität zu reduzieren und Systeme als Cluster von kleinen, wiederverwendbaren, flexiblen und trotzdem standardisierten Services zu betrachten – im Gegensatz zu siloisierten, projektbezogenen Systemen. So werden Hersteller zukünftig besser mit ständigen Veränderungen umgehen können, da Veränderungen und Releases nicht an Systeme gebunden sind, sondern an Services. Somit unterstützen sie auch Test-and-learn-Vorgehen.

Der Wandel von einem Produktunternehmen hin zu einem Netzwerk Orchestrator ist für die Automobilunternehmen vor allem eine massive Change Management-Aufgabe. Das neue Selbstverständnis muss sich in einer veränderten DANN verankern. Dazu müssen Automobilhersteller eine agile Unternehmenskultur schaffen – weg von einem tayloristischen Abteilungsdenken und hin zu horizontaler, kollaborativer Interdisziplinarität.

Für die Automobilindustrie hat die Stunde bereits gestern geschlagen. Automobilhersteller müssen die Anpassung ihrer DNA beschleunigen, wenn sie in Zukunft als zentraler Orchestrator die Konsumentenarena gestalten wollen.

Über den Autor

Wolf Ingomar FaecksWolf Ingomar Faecks ist Geschäftsführer und Vice President Kontinentaleuropa sowie Global Lead Automotive Industry bei SapientNitro und Präsident Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V.

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