Customer Experience wird zum Drehmoment der Automobilindustrie

Jodi Searl

Dr. Jodi Searl, Vice President Industry Solutions Automotive, Medallia

Europa wird klimaneutral, und die deutsche Automobilindustrie reagiert. Mehr als 50 Prozent der E-Autos in der EU stammen bereits aus deutscher Produktion, in den nächsten Jahren werden bis zu 150 neue E-Modelle erwartet. Maßgeblich angetrieben wird diese Revolution der Mobilität von einem Faktor: Digitalisierung. Aber smarte Assistenzsysteme, autonome Fahrzeuge und digitales Carsharing bzw. Car-as-a-service-Modelle steigern nicht nur den Komfort der Fahrer*innen. Die Industrie als Ganzes nutzt die digitalen Umwälzungen, um den Kontakt zu ihren Kund*innen neu zu denken.

Das Agenturmodell verändert den Automarkt

Autohersteller suchen heute die menschliche Beziehung zu ihren Kund*innen. Um diese entlang der gesamten Customer Journey zu begleiten, investieren sie immer bewusster in eine ganzheitliche Customer Experience Journey. Viele Hersteller testen daher neue „Go to Market“-Strategien, die eine direktere Kontrolle der Kundenbeziehung beinhalten, zum Beispiel das Agenturmodell. So will Volkswagen seine Elektroautos in Zukunft auf eigene Rechnung verkaufen, um den Schwenk in Richtung eines D2C-(Direct-to-Consumer)-Modells einzuleiten. Der Hersteller behält damit die Kontrolle über die Kundenbeziehung auf allen Vertriebskanälen und auch über die Preisstabilität.

Im so geschaffenen Omnichannel – einem kanalübergreifenden System zur Verbesserung der Customer Experience – sichert sich der Hersteller die Auswertung der Kundendaten und damit die Datenhoheit. Händler werden vom Verkäufer zum beratenden Vermittler. Diese Erkenntnisse helfen Herstellern unter anderem dabei, Auswertungen der Kundeninteraktionen vorzunehmen und besser auf die Mobilitätsbedürfnisse ihrer Kund*innen zu reagieren.

Wandel durch neue, verbraucherorientierte Eigentums- und Nutzungsmodelle

Deloitte berechnete, dass Leasingmodelle in den fünf größten Automärkten der EU bereits 2019 weit mehr als die Hälfte der Autofinanzierungen ausmachten. Auch flexible Full-Service Leasingmodelle, Auto-Abos und Carsharing etablieren sich immer mehr.

Hersteller, die sich diesem Trend zum VaaS (Vehicle-as-a-Service) öffnen, erhalten durch die digitale Verschmelzung der Vertriebskanäle mehr Möglichkeiten, ihre Finanzierungsprodukte auf bestimmte Zielgruppen zuzuschneiden. Das Online-Geschäft ist hier entscheidend, um diese neuen Vertriebsmodelle weiterzuentwickeln und um über alle Touchpoints hinweg an neue Zielgruppen heranzutreten. Aber auch die Produktionswege und das Qualitätsmanagement selbst verändern sich durch den verstärkten Fokus auf den digitalen Kundenkontakt.

Neue Einblicke aus dem Markt

Je mehr Technik in einem Produkt steckt, desto größer wird der Aufwand in der Entwicklung und in der Wartung. Wichtig ist hierbei auch, das Feedback vom Kunden in Echtzeit zu sammeln, um so deutlich schneller reagieren zu können. Der amerikanische Traditions-Autobauer Ford machte diese Erfahrung mehrmals. Zuletzt 2022 mit dem Rückruf von 49.000 Mustang Mach-E SUVs aufgrund von potenziellen Batterieproblemen. Auf diese teuren Rückschläge reagiert das Unternehmen neben optimierten Qualitätskontrollen auch mit einer verstärkten Analyse der Signale von Online-Kanälen.

Denn wer Probleme mit einem neuen Auto hat, sucht häufig auf sozialen Medien und in Online-Foren nach Hilfe. Durch die Erfassung dieses digitalen Feedbacks vom Markt können Ford und andere Autobauer Probleme frühzeitig erkennen und untersuchen lassen. So wird bereits an Lösungen wie einem Softwareupdate gearbeitet, bevor das Auto in die Werkstatt oder zurück zum Händler geht – und die gewonnenen Erkenntnisse fließen gleichzeitig in die Produktion neuer Modelle ein. Bei der Sammlung und Auswertung von Signalen aus digitalen Kanälen helfen Customer Experience Lösungen wie die von Medallia, die Daten aus Call Center Websites, Apps oder sozialen Netzwerken zusammenführen können.  Die Software ermöglicht eine deutlich schnellere Sicht auf potenzielle Probleme und bringt vor allem den Vorteil, dass diese erkannt werden, ohne Kunden einen Fragebogen zu schicken.

Dadurch besteht für Hersteller auch die Möglichkeit, Kund*innen proaktiv den Besuch beim Autohändler zu empfehlen. So schließt sich der Kreis der Mobilitätswende, denn auch der Autohändler erhält im Agenturmodell die Möglichkeit, etwas an der zusätzlichen Serviceleistung zu verdienen.