Es ist höchste Zeit, das Tempo der Energiewende zu beschleunigen

Dr. Fritz Brickwedde

#hbenergie-Experteninterview mit Dr. Fritz Brickwedde (BEE)

„Energiewende und Klimaschutz lassen sich nicht einfach auf einen späteren Zeitpunkt verschieben“, sagt Dr. Fritz Brickwedde, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE). Im #hbenergie-Interview spricht der Experte für Erneuerbare Energien mit uns über aktuelle Fortschritte und Rückschläge auf dem Weg zu einer sauberen Energieversorgung.

Herr Dr. Brickwedde, wo überschneiden sich der Ausbau Erneuerbare Energien und Klimaschutzziele und wo nicht?

Erneuerbare Energien sind als einzige in der Lage, zugleich eine verlässliche Energieversorgung zu gewährleisten und dabei das Klima zu schützen. Sie verursachen weder die schmutzigen Emissionen der Kohle noch den strahlenden Müll der Atomkraft. Daher steht fest: Klimaschutz gibt es nur mit Erneuerbaren Energien. Allein im Jahr 2013 haben Windkraft, Bioenergie, Solar- und Wasserkraft und Geothermie fast 150 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart. Doch es geht nicht nur um den Ausbau der Erneuerbaren. Anstatt neue Kohlekraftwerke zu bauen oder bestehende Tagebaue zu erweitern, muss die Kohle auch tatsächlich im Boden bleiben und ein geordneter Ausstieg aus der Kohle eingeleitet werden.

Welche Technologien zur Treibhausgasminderung stehen miteinander im Wettbewerb? Energiewende im Wahljahr: Der richtige Ansatz zur falschen Zeit?

Energiewende und Klimaschutz lassen sich nicht einfach auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Wir betreiben den Umstieg auf eine saubere Energieversorgung nicht zum Selbstzweck, sondern um die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken und um unsere Lebensbedingungen nicht dramatisch zu verschlechtern oder gar zu vernichten. Der Weltklimavertrag von Paris war daher ein historischer Durchbruch: Die Staatengemeinschaft hat sich darauf geeinigt, die Weltwirtschaft bis 2050 vollständig zu dekarbonisieren. Deutschland muss die Erneuerbaren Energien jetzt deutlich schneller ausbauen, wenn die Bundesregierung ihre eigenen Klimaziele noch erreichen will. Zu oft steht das realpolitische Handeln in Deutschland im Widerspruch zu internationalen Versprechen. Es wird die Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, den Worten Taten folgen zu lassen.

Spielen Erneuerbare Energien tatsächlich die große Rolle, die sie sich selbst zuschreiben oder ist das noch Zukunftsmusik?

Weltweit boomen die Erneuerbaren Energien, was sich nicht zuletzt in der Divestment-Bewegung zeigt. Zudem übersteigen weltweit die Investitionen in Wind, Solar & Co. inzwischen bei weitem die Mittelzuflüsse in die fossilen und nuklearen Energieträger. Doch ausgerechnet im Heimatland der Energiewende drosselt die Bundesregierung das Tempo beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Ein vorrangiges Ziel des EEG 2017 ist es, den Ausbau der Erneuerbaren Energien im Stromsektor auf maximal 45% bis 2025 und auf max. 55% bis 2035 zu deckeln. Der Systemwechsel hin zu Ausschreibungen ist daher ganz deutlich ein Rückschlag für den Klimaschutz: Bislang war das Erneuerbare-Energien-Gesetz der Motor für den Ausbau sauberer Energien, heute dient es in erster Linie der Bewahrung der Braunkohle. Zudem stagniert der Anteil der Erneuerbaren Energien seit langem in den wichtigen Sektoren Wärme und Mobilität: Der Anteil der Erneuerbaren Wärme liegt fast gleichbleibend bei gut 13 Prozent, die klimafreundliche Mobilität ist leicht rückläufig bei rund fünf Prozent. Es zeigt sich, dass die jahrelangen Versäumnisse zur sauberen Energieversorgung im Wärme- und Mobilitätsbereich lange Schatten werfen. Mit der Kaufprämie und der Steuerbefreiung für Elektroautos ist jetzt ein erster Schritt getan, den wir sehr begrüßen. Es wäre jedoch ein großer Fehler, zu glauben, dass man jetzt die Hände in den Schoß legen kann. Wir brauchen einen schnellen Ausbau einer dezentralen Ladeinfrastruktur. Und wir müssen über das Auto hinaus denken. Elektromobilität muss auch Busse, Lieferwägen und selbst schwere LKWs umfassen. Bis zur vollständigen Dekarbonisierung liegt noch ein sehr weiter Weg vor uns – und die Zeit bis 2050 wird immer knapper. Es ist höchste Zeit, das Tempo der Energiewende in allen Bereichen – Strom, Wärme und Mobilität – deutlich zu beschleunigen und die drei Sektoren vernetzter zu denken: So wird dank Sektorkopplung künftig überschüssiger Windstrom nachts in die Batterien der Elektroautos fließen.


Zur Person:

Dr.-Ing. E. h. Fritz Brickwedde (Twitter: @bEEmerkenswert) wurde am 29. Oktober 2013 zum Präsidenten des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) gewählt. Zuvor war er mehr als 22 Jahre lang Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.

Das Interview mit Fritz Brickwedde finden Sie, neben vielen weiteren aktuellen Top-Themen der Energiebranche auch in unserem interaktiven Magazin „Schnittstelle Energie“.

Energiewirtschaft 2017 – Diskutieren Sie mit!

Diskutieren Sie im Rahmen der 24. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft (24. bis 26. Januar 2017, Berlin) mit Fritz Brickwedde und anderen hochrangigen Energieexperten über die Zukunft der Erneuerbare Energien. Alle Details zu Veranstaltung finden Sie im aktuellen Programm.

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