Die Bedeutung der Blockchain-Technologie für die Energiebranche

Prof. Dr. Jens Strüker

#hbenergie-Experteninterview mit Prof. Dr. Jens Strüker

Blockchain ist derzeit in aller Munde. In der Finanz- und Telekommunikationsbranche werden bereits Millionenbeträge in die neue Technologie investiert. Prof. Dr. Jens Strüker, Süwag Stiftungsprofessor für Energiemanagement und Geschäftsführer des Instituts für Energiewirtschaft (INEWI) an der Hochschule Fresenius sieht auch für die Energiebranche großes Potential in Blockchain. Was genau sich hinter dem Begriff verbirgt und welche Bedeutung die neue Technologie für die Energiewirtschaft hat, erklärt Prof. Dr. Jens Strüker in unserem #hbenergie-Experteninterview.

In Kürze, Professor Strüker: Was versteht man unter Blockchain-Technologie?
Eine sogenannte Blockchain macht etwas ziemlich Einfaches relativ kompliziert: Sie ermöglicht Transaktionen jeglicher Art in einem Netzwerk fortlaufend und verschlüsselt auf teilnehmenden Rechnern zu speichern. Sowohl für die Speicherung der Transaktionshistorie als auch für die Validierung jeder einzelnen Transaktion ist keine zentrale Instanz notwendig, da dies ausschließlich über Rechenoperationen auf den teilnehmenden Geräten erfolgt. Die Blockchain-Technologie verspricht letztlich Transaktionen zu geringen Kosten verbunden mit einem sehr hohen Sicherheitsniveau. Hinzu kommt die Möglichkeit über sogenannte Smart Contracts den automatisierten Ablauf der Transaktionen gezielt zu gestalten.

Welche Risiken birgt die Blockchain für die Energiebranche?
Hier hilft ein Blick in andere Industrien: Die weltweit größten Banken investieren bereits hunderte Millionen Euro in Blockchain-Anwendungen, um auf die Bedrohung ihrer traditionellen Geschäftsmodelle proaktiv zu reagieren. Es drängt sich hier ein Vergleich der Blockchain-Technologie mit dem Siegeszug von TCP/IP in Telekommunikationsunternehmen auf. Nun stellt sich die Frage, welche Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft sind.
Naheliegend ist die Schlussfolgerung, dass die Notwendigkeit von Intermediären weitestgehend entfällt. D.h. sowohl der Stromlieferant als auch der Stromgroßhändler könnten in letzter Konsequenz überflüssig werden, wenn Stromerzeugungseinheiten und Stromabnehmer direkt miteinander automatisiert interagieren. Das mag extrem und nach ferner Zukunft klingen, aber einzelne Realisierungen wie z.B. der Nachbarschaftsstromhandel in New York durch Consensus oder in Südafrika durch Grid Singularity haben bereits heute sehr konkrete Auswirkungen: Handelsmargen und die Effizienz sämtlicher Prozesse in Einkauf, Vertrieb und Netz werden konsequent hinterfragt: Warum zieht sich der Wechsel des Stromlieferanten über Wochen hin, wenn man eine Wohnung oder ein Auto in Sekunden mieten kann? Warum werden nicht kurzfristig Lasten und Erzeugungsanlagen bei Kunden gesteuert um Ausgleichenergie zu vermeiden? Und warum dauert die Abrechnung von Ausgleichsenergie heute zwei bis 12 Monate und ist dann noch häufig fehlerhaft?

Welche Chancen gehen damit einher?
Wie alle disruptiven Technologien bedroht die Blockchain nicht nur die Geschäftsmodelle der Alteingesessenen, sie lässt sich selbstverständlich auch von diesen nutzen. TCP/IP im Bankenbereich veranschaulicht dies sehr eindrucksvoll. In der Energiewirtschaft lohnt ein Blick auf den Stromvertrieb: Hier schrumpfen die Margen schon seit geraumer Zeit und der Kunde rückt zunehmend in den Mittelpunkt der Aktivitäten. D.h. anstatt Ansätze wie Nachbarschaftsstromhandel zu verhindern oder zu ignorieren, sollten vor allem Stadtwerke mit Ihrer großen Kundennähe versuchen, Treiber der Entwicklung zu werden. Lokaler Stromhandel kann letztlich den Verbleib von Geld und Arbeit vor Ort bedeuten. Die lokale Wertschöpfung könnte so u. a. der nachlassenden Quersubventionierung des Öffentlichen Nahverkehrs durch die sinkenden Einnahmen aus dem Gasverkauf der Stadtwerke entgegenwirken.
Auch für den Verteilnetzbetreiber bieten sich interessante Optionen: Betreibt er eine Blockchain zum Zwecke der Netzüberwachung für Millionen von Geräten zur Stromerzeugung und zum Stromverbrauch, dann wird hierauf ein kleinteiliger und hochfrequenter Handel vor Ort möglich. Die Reform des regulatorischen Rahmens in New York kommt einem solchen Ansatz bereits heute nahe. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind die effizientere Abrechnung von Ausgleichsenergie, das Asset Management im Stromnetzbereich bis hin zu Dienstleistungen wie Energiemanagement in Verbindung mit vorausschauender Wartung und Laufzeitkontrolle von Anlagen für die Industrie.

Wie wird Blockchain die Energiebranche verändern?
Allgemein lässt sich heute beobachten: Die Erzeugungsstruktur wird zunehmend dezentraler und kleinteiliger, während die Vernetzungskosten von Erzeugungsanlagen inklusive Lasten und Speicher schnell sinken. Wir bewegen uns folglich langsam – aber unaufhaltsam – in Richtung einer Echtzeit-Energiewirtschaft, in der Mikrotransaktionen zwischen Geräten aller Art und Größe automatisiert erfolgen. Lokaler Handel ist dabei keineswegs gleichzusetzen mit Autarkie, da in einer digitalen Welt mit Grenzkosten der Kommunikation von Nahe Null der Handel insgesamt einen Schub erhält. Die Blockchain-Technologie kann somit einen wichtigen Beitrag zur Ökonomisierung der Energiewende leisten, indem Sie – bei gleichzeitiger Gewährleistung von Ende-zu-Ende-Sicherheit – Transaktionskosten bei diversen Prozessen deutlich senkt. Wie weit sie letztlich hilft, die Handelsebene und die Elektronenebene näher zusammenzubringen, dies ist aktuell völlig offen.

In welchen Geschäftsfeldern ist die Technologie am effizientesten einzusetzen?
Zunächst ist festzuhalten, dass die Liaison von Blockchain-Technologie und Energiewirtschaft – anders als im Bankenbereich – noch ganz frisch ist. Damit liegen aktuell einfach noch zu wenig Erfahrungen vor, um belastbare Aussagen abzuleiten. Völlig unklar ist zum Beispiel die Größe des Kosteneinsparungspotentials in den verschiedenen Anwendungen oder auch die Gewährleistung der Sicherheit durch eine kritische Masse an Teilnehmern. Weiter liegen noch so gut wie keine direkten Vergleiche mit alternativen Technologien bzgl. Effizienz und Sicherheit vor. Die Vor- und Nachteile von öffentlichen und privaten Blockchains sind ebenso ungeklärt wie deren Interoperabilität sowie die Frage nach der Nutzbarkeit von Smart Contracts in den regulierten bzw. nicht-regulierten Bereichen der Energiewirtschaft. Und: Wie abhängig sind Blockchains von der Verfügbarkeit einer Internetverbindung? Zum heutigen Zeitpunkt erscheinen insbesondere Anwendungen in den Bereichen Netzmonitoring und Asset Management, Messstellenbetrieb und Abrechnungsprozesse sowie die Zertifizierung von Ökostrom vielversprechend. Es bleibt abzuwarten, ob sich die begonnene Beziehung zwischen Blockchain-Technologie und Energiewirtschaft zu einer vorrübergehenden Romanze, einer Lebensabschnittspartnerschaft oder einer dauerhaften Ehe entwickelt.


Zur Person:

Prof. Dr. Jens Strüker ist Süwag Stiftungsprofessor für Energiemanagement und Geschäftsführer des Instituts für Energiewirtschaft (INEWI) an der Hochschule Fresenius, Frankfurt am Main.


Das Interview mit Prof. Dr. Jens Strüker finden Sie, neben vielen weiteren aktuellen Top-Themen der Energiebranche auch in unserem interaktiven Magazin „Schnittstelle Energie“.

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