Der Klimawandel wartet nicht | #hbenergie-Expertenbeitrag von Dr. Ludwig Möhring (WINGAS)

Der Klimawandel wartet nicht | #hbenergie-Expertenbeitrag von Dr. Ludwig Möhring (WINGAS)

Gut gemeint, ist nicht gut gemacht

von Dr. Ludwig Möhring, Mitglied der Geschäftsführung WINGAS GmbH

Der Klimawandel wartet nicht. Das haben die Klimaabkommen von Paris und Marrakesch deutlich gemacht. Dem trägt die Staatengemeinschaft nun Rechnung: Gemeinsam soll die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzt werden. Um dieses Klimaziel zu erreichen, muss die Energieversorgung bis 2050 über alle Sektoren hinweg klimaneutral gestaltet werden.

Deutschland setzt in diesem Zusammenhang auf einen umfassenden Umbau der Energiewirtschaft und forciert den massiv den Ausbau der erneuerbaren Energien. So gut und richtig der Ausbau der erneuerbaren Energien auch ist, er kann nur Teil einer umfassenden Strategie zur CO2-Reduzierung sein. Das wurde leider in den vergangenen Jahren bei der Energiewende in Deutschland versäumt. Seit 2010 ist es hierzulande kaum gelungen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren – und das trotz der großen Investitionen in erneuerbare Energien. Die Folge: Das CO2-Einsparziel für 2020 wird deutlich verfehlt. Doch trotz des Misserfolges hat man den Eindruck, dass das beinahe billigend in Kauf genommen wird – jedenfalls sind keine Maßnahmen bekannt, die dieser sonst unvermeidlichen Entwicklung entgegensteuern würden. Dies verwundert umso mehr als hinreichend bekannt ist, dass das globale CO2-Budget für das ganze Jahrhundert bei gleichbleibendem CO2-Ausstoß bereits bis 2040 erschöpft ist.

Der Energiemix der Zukunft braucht konventionelle Energieträger

Damit die CO2-Einsparziele erreicht werden, hat die Bundesregierung nun den Klimaschutzplan 2050 beschlossen. Dieser Plan soll als deutsche Antwort auf das Paris-Abkommen die Grundlage für ein CO2-armes Deutschland bilden. Ein begrüßenswertes Vorhaben – insbesondere vor dem Hintergrund des bereits angesprochenen bisher allenfalls marginalen Klimaschutzerfolges der Energiewende. Völlig richtig wird im Klimaschutzplan konstatiert, „das Klimasystem mit seiner inhärenten Trägheit verzeiht keine weiteren Verzögerungen“.

Nun sollen alle Wirtschafts- und Lebensbereiche mit Strom aus regenerativen Quellen elektrifiziert werden – auch der Wärmemarkt und der Transportsektor. Dieser Ansatz stellt eine umfassende Neuausrichtung der gesamten deutschen Energielandschaft dar, die in der Öffentlichkeit erstaunlich wenig Beachtung findet. Was im ersten Moment Charme haben mag (nämlich die Vision erneuerbarer Strom für alle Bereiche der Energielandschaft), wirft bei näherer Betrachtung eine Reihe von Fragen Im Zusammenhang mit der Realisierbarkeit auf.

Denn die von der Bundesregierung propagierte „all-electric-world“ ist mit erheblichen wirtschaftlichen wie technischen Herausforderungen verbunden. Denn trotz Milliardeninvestitionen liefern regenerative Energien heute erst 12,5 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs. Das sind nur 2,5 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren – und bedeutet, dass schon bei überschlägiger Betrachtung selbst bei erheblichen Effizienzgewinnen der Bedarf an erneuerbarem Strom sich mindestens verfünffachen wird.
Und wie die notwendige Vervielfachung der erforderlichen Stromleistung erneuerbar bereitgestellt wird, wenn im in Winter die deutschen Wohnungen beheizt werden müssen, wird selbst dem größten Optimisten nicht ohne weiteres deutlich werden – wenn er sich Gedanken machen muss, wie insbesondere der Wärmebedarf vollständig elektrisch und erneuerbar hergestellt werden soll, und zwar auch während einer längeren Dunkelflaute.

Ähnliche Fragen tauchen bei der Infrastruktur auf: Schon heute ist jeder Ausbau der Übertragungsnetze ein Kraftakt. Und auch über den notwendigen massiven Ausbau der Verteilnetze – in die die Erneuerbaren überwiegend einspeisen – wird bislang kaum diskutiert. Diesen Fragen stellt sich der Klimaschutzplan leider nicht und verharrt stattdessen im Visionären. Auch die generelle Fokussierung der Maßnahmen des Klimaschutzplans auf die Zeit nach 2030 irritiert – und lässt wertvolle Zeit für den Klimaschutz verstreichen. Wir müssen eher früher als später CO2 einsparen.
Ernst gemeinter und bezahlbarer Klimaschutz muss sich messen lassen, wie bezahlt CO2 eingespart werden kann. Schon die Größe von Wärme- und Transportsektor und die mit der Stromversorgung einhergehenden Herausforderungen rund um die jederzeitige Versorgungssicherheit legen es nahe, dass ein wirklicher Klimaschutz die Integration von erneuerbaren und konventionellen Energieträgern in den Vordergrund stellt – dies sicher mit einer wachsenden Bedeutung der erneuerbaren Energien, aber doch immer mit Blick auf eine Optimierung des Gesamtsystems, bei der es drei Parameter gleichzeitig zu beachten gilt: (1) CO2-Reduzierung, (2) Versorgungssicherheit, (3) Bezahlbarkeit.

Dem Erdgas wird als klimafreundlichstem konventionellen Energieträger bei einem weitreichenden Umbau hin zu einer CO2-armen Welt eine deutliche Rolle als „Systempartner“ zukommen. Gerade Erdgas bietet schon heute eine gut ausgebaute Infrastruktur, die auch für grünes, synthetisch hergestelltes Gas genutzt werden kann und bietet erhebliches Potential für einen erfolgreichen Klimaschutz jetzt:

  • eine zeitnahe und bezahlbare CO2-Vermeidung, die Kosten reduziert verglichen mit einer umfassenden Elektrifizierung aller Lebensbereiche,
  • die Vermeidung unnötiger (Strom)-Netzausbaukosten durch Nutzung der Erdgasinfrastruktur,
  • die Sicherstellung einer nachhaltigen gesellschaftlichen Akzeptanz,
  • die Einbettung, insbesondere im europäischen (denn unsere Energiewende hat Auswirkungen auf unsere Nachbarn), und auch im globalen Kontext.

Erdgas ist Eckpfeiler eines ernstgemeinten Klimaschutzes, der zeitnah für bezahlbare CO2-Einsparung sorgt und auf diese Weise zu einer erfolgreichen Umsetzung der Klimaschutzziele beiträgt. Wer stattdessen auf umfassende Elektrifizierung aller Sektoren setzt, muss beantworten, zu welchen technischen und finanziellen Bedingungen und mit welchen gesellschaftlichen Konsequenzen eine solche Vision umgesetzt werden kann.
Effektiver Klimaschutz wird nur gelingen, wenn konventionelle und erneuerbare Energien Hand in Hand gehen.