Remote-Diagnose-Lösungen: Realität oder Zukunftsvision?

Remote-Diagnose-Lösungen: Realität oder Zukunftsvision? | #autosummit

Bei Remote-Diagnose-Lösungen kommt es in erster Linie auf Qualität und Umfang der Diagnosedaten kommt es an.

Ein Interview mit Patricia Stich, Leiterin Diagnostics & Services bei Continental

Frau Stich, sind Remote-Diagnose-Lösungen schon Realität oder noch Zukunftsmusik?

Patricia Stich: Das Interesse im Markt, mit solchen Nachrüst-Lösungen mehr Transparenz über den Zustand und das Fahrverhalten von Autos zu erhalten, ist groß. Es gibt auch schon einfache Remote-Diagnose-Lösungen. Sie liefern allerdings nur einen kleinen Ausschnitt der tatsächlich verfügbaren Informationen, was die Zahl der sinnvollen Anwendungen begrenzt.Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass noch keine Lösungen breitflächig im Markt eingeführt worden sind. Außerdem spielt das Thema Sicherheit bei einem so sensiblen Thema wie der Fahrzeugdiagnose eine wichtige Rolle.

Für wen sind solche Lösungen interessant?

Patricia Stich: Die Daten lassen sich für alle Unternehmen nutzen, die Services rund um das Auto anbieten – von der Werkstatt bis zum Car-Sharing-Anbieter. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Auto bleibt liegen und sendet per Remote-Diagnose eine Fehlermeldung. Der Pannenservice macht sich vorab ein Bild vom Schaden und ist schneller vor Ort. Die Werkstatt nimmt direkt mit ihrem Kunden Kontakt auf und bestellt die benötigten Teile sofort. So verbessert sie ihren Service. Die Entwickler des Automobilherstellers steigern mit den Informationen über die Leistungsfähigkeit einzelner Bauteile deren Qualität. Wenn die rechtlichen Bedingungen es erlauben, könnten auch Versicherungen Tarife anbieten, die zum Beispiel risikoarmes Fahren belohnen.

Wie sieht Ihre RVD-Lösung aus?

Patricia Stich: Unsere Plattform ermöglicht den Zugriff auf die Fahrzeug-Diagnose-Daten unterschiedlichster Marken. Zusätzlich zu den gesetzlich festgelegten Standard-Diagnosedaten, die jede Lösung liefert, kann sie also auch hersteller- und modellspezifische Informationen erfassen. Die gesendeten Codes überführt sie in verständliche Angaben. Unternehmen können auf diesen Fahrzeugdaten basierende Services mit einem Software Developer Kit, das die App-Entwicklung für Android und iOS unterstützt, schnell umsetzen.
Für die Übertragung gibt es verschiedene Hardware-Optionen, darunter einen Bluetooth-Dongle für den einfachen und schnellen Einstieg und eine GSM-basierte Lösung, die die Daten direkt überträgt.

Es gibt ja schon einige Dongle-Lösungen im Aftermarket. Warum sollte Ihre sich durchsetzen?

Patricia Stich: Richtig, Dongles können Sie auf vielen Verkaufsplattformen im Netz günstig kaufen. Die entscheidende Frage ist nur, welche Qualität und welchen Umfang die Diagnosedaten haben. Die meisten der heute auf dem freien Werkstattmarkt verfügbaren Lösungen decken nur Standard-Daten ab und versuchen, diese zu kompensieren. Je nach Anwendung kann das zu signifikanten Ungenauigkeiten und damit falschen Schlussfolgerungen führen, etwa in Bezug auf das Fahrverhalten.
Unsere Lösung kann auf umfangreiche herstellerspezifische Daten wie zum Beispiel Kilometerleistung, Tankfüllstand oder Serviceintervalle zugreifen. Das verbessert nicht nur die Qualität der Daten, es lassen sich auch viel mehr Anwendungen realisieren. Mit unserer langjährigen Expertise in der Diagnose können wir solche Daten aus unserem System zur Verfügung stellen. Darüber hinaus sorgen wir für ein sicheres Auslesen der Daten. Wir laden zum Beispiel nur dann sicherheitsrelevante Daten herunter, wenn sich das Auto in einem sicheren Zustand befindet, also etwa an der Ampel hält.

Gibt es schon praktische Erfahrungen mit dem System?

Patricia Stich: Die gibt es. Seit mehreren Monaten führen wir mit unterschiedlichen Kunden Pilotprojekte durch, um unsere Plattform und die darauf basierenden Lösungen für unsere Kunden zu validieren. Unter anderem nutzt OTAkeys, ein Spezialist für den schlüssellosen Zugang zu Fahrzeugen, das System, um über seine virtuellen Fahrzeugschlüssel für Car-Sharing-Dienste zusätzliche Informationen mitzuliefern, beispielsweise zum Tankfüllstand und zum Kilometerstand. Unser Continental Flottenmanagementsystem Vehicle Data Service wird momentan umfangreich getestet. Wir planen die Markteinführung im Laufe des ersten Halbjahres 2016.

StichPatricia Stichs begann ihre Karriere 2000 als IT-Consultant bei KPMG Consulting/Bearing Point und wechselte 2005 zu Siemens/VDO, wo sie die Ausgliederung von VDO aus dem Siemens-Konzern und die Integration in den Continental-Konzern mit verantwortete. Nach sieben Jahren als Leiterin der Funktion Sales, Strategie und Portfolio von CVAM ist sie seit September 2014 Leiterin des Bereichs Diagnostics & Services bei Continental.


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