Der russische Automobilmarkt im Überblick

Globale Automobilindustrie

Aktuelles rechtliches Umfeld für die Automobil- und Zulieferindustrie

Noch vor wenigen Jahren haben Automobilhersteller Russland als den strategischen Wachstumsmarkt Nr. 1 in Europa angesehen. In Fachkreisen wurde darüber diskutiert, wann der russische Automobilmarkt den deutschen als größten Markt Europas ablösen würde. Das „Ob“ stand dabei nicht in Frage. Lediglich über den Zeitpunkt gab es unterschiedliche Auffassungen. Hinzu kamen umfassende und sehr positive Reformen des russischen Zivil- und Gesellschaftsrechts, welche die rechtliche Grundlage für bessere Investitionsbedingungen legten. Im „Doing Business“ Report der Weltbank ist Russland innerhalb von vier Jahren von Platz 123 auf Platz 51 vorgerückt.

Diesen positiven Entwicklungen wird wegen der aktuellen Wirtschaftskrise, die im Wesentlichen durch den starken Verfall des Erdölpreises und wirtschaftspolitische Versäumnisse bedingt ist, noch zu wenig Bedeutung beigemessen. Dabei ist unbestritten, dass der russische Markt langfristig einer der wichtigsten Märkte in Europa bleiben wird, auch wenn er die in ihn gelegten hochoptimistischen Erwartungen in den nächsten Jahren wohl nicht vollständig erfüllen kann.

Lokalisierung zur Stärkung der Wirtschaft

Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftslage und der Sanktionspolitik steht auch die Lokalisierung der Produktion von Fahrzeugen und Automobilkomponenten wieder im Fokus der russischen Wirtschaftspolitik. Die Föderation und die Regionen des Landes werben aktiv um ausländische Investitionen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Investitionsgesetze verabschiedet, die neue Rechtsgrundlagen für Investitionen bilden und mehr Rechtssicherheit für Investoren schaff en sollen. Die Regionen gewähren Präferenzen und Vergünstigungen, wie z.B. die Teilerstattung von Kreditzinsen oder Leasingraten, steuerliche Vergünstigungen wie etwa Steuerbefreiung oder niedrigere Steuersätze, insbesondere bei der Gewinnbesteuerung, staatliche Garantien sowie die Unterstützung des Investors bei der Einholung aller erforderlichen Genehmigungen.

Zur Realisierung von Lokalisierungsprojekten wurden in den Regionen des Landes zahlreiche Industrie- und Technoparks bzw. Sonderwirtschaftszonen errichtet, in denen die Unternehmen zusätzliche Unterstützung erfahren. So haben einzelne Regionen den regionalen Anteil der Gewinnsteuer von 18% auf 2% für die ersten fünf Jahre nach Gewinnerwirtschaftung, auf 7% in den nachfolgenden fünf Jahren und auf 15,5% bis 2055 herabgesetzt sowie die Vermögens-, Verkehrs- und Bodensteuer für einen Zeitraum von zehn Jahren auf 0% gesenkt. Ferner gewähren sie vergünstigte Pachtbedingungen sowie die befristete Befreiung von Zollgebühren. Für Automobilhersteller existieren darüber hinaus noch weitere Programme, die im Wesentlichen auf vier Regierungsverordnungen zur Umsetzung des staatlichen Programms „Entwicklung der Industrie und Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit“ zurückzuführen sind.

Pflichten für die Produktion in Russland

Ende Juni vergangenen Jahres trat das Gesetz über die Industriepolitik in Kraft, mit dem das Rechtsinstitut der Sonderinvestitionsvereinbarungen (SIV) eingeführt wurde, welches im Grunde die Idee der dem russischen Automobilmarkt bereits bekannten Industriemontagevereinbarungen erweitert. Mit Abschluss einer SIV verpflichtet sich ein Unternehmen, eine Produktion in Russland aufzubauen bzw. eine bereits bestehende Produktion zu erweitern. SIV werden für einen Zeitraum von maximal zehn Jahren mit einem Mindestinvestitionsvolumen von 750 Mio. Rubel abgeschlossen. Zuständige Behörde ist das russische Ministerium für Industrie und Handel, wobei auch eine regionale Beteiligung möglich ist. In den SIV werden die staatlich gewährten Fördermaßnahmen bzw. Vergünstigungen festgelegt. Mittlerweile liegen auch Muster für SIV vor.

Im aktuellen Tagesgeschäft wirken sich die starke Rubelabwertung und die Wechselkursvolatilität unmittelbar aus. Zwar lässt das russische Recht hier grundsätzlich einen weiten Spielraum für Wechselkursbindungen, Preisgleitklauseln und Vereinbarungen über Wechselkurskorridore zu, gleichwohl gibt es zahlreiche Projekte, die wirtschaftlich neu überdacht werden müssen, zumal Wechselkursschwankungen und Finanz- bzw. Wirtschaftskrisen durch die russische Rechtsprechung weder als höhere Gewalt noch als Grund für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage angesehen werden.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der russische Staat gegenwärtig sehr viel unternimmt, um die eigene Volkswirtschaft zu stärken und gleichzeitig die Abhängigkeit vom Rohstoffexport zu verringern. Es steht auch außer Frage, dass sich der russische Markt wieder stabilisieren wird und Investitionen in den Markt heute günstiger den je sind. In Anlehnung an Warren Buffet könnte man auch sagen, man sollte dann vorsichtig sein, wenn alle investieren, und dann investieren, wenn alle vorsichtig sind. Der russische Markt wird auf lange Sicht einer der wichtigsten Märkte für die deutsche Automobilindustrie sein. Das „Ob“ steht dabei noch immer nicht in Frage, nur die Erwartungshaltungen an den Zeitraum sind anzupassen.

Über die Autoren

Tischendorf_MamedovaFalk Tischendorf ist Partner und Standortleiter des Büros von Beiten Burkhardt in Moskau

Bilgeis Mamedova ist Partnerin bei Beiten Burkhardt in Moskau.

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