Automobilbranche in Bewegung: Digital auf der Überholspur?

Dr. Stefan Ebener, NetApp

Dr. Stefan Ebener, Strategy & Innovation Manager Automotive beim IT- und Datenmanagementspezialisten NetApp, gibt im Interview Einblicke in das autonome und vernetzte Fahren und erläutert Technologien, Wettbewerb und die Erfolgsformel.

Herr Dr. Ebener, hat die Automobilbranche die Digitalisierung verschlafen?

Nein, das kann man so nicht sagen. Richtig ist: Der Automotive-Sektor befinden sich mitten im digitalen Umbruch. So nimmt er im Smart Manufactoring eine Vorreiterrolle ein. Außerdem ist er ein entscheidender Akteur beim autonomen und vernetzten Fahren. Es ist nun kein Geheimnis, dass sich Umsätze und Gewinne künftig in Richtung Aftermarket und Smart Mobility Services verschieben werden. Daraus ergibt sich jedoch die Konsequenz für OEMs, sprich Erstausstatter, sowie Zulieferer, ihre IT-Architekturen flexibel und skalierbar zu machen und ein effizientes Datenmanagement zu etablieren. Sonst droht ihnen, nur noch das Auto als die mobile Plattform bereitzustellen, auf der andere ihre digitalen Dienste anbieten.

Inwieweit sind Sie denn in die Entwicklung von vollautomatisierten und vernetzten Autos involviert?

Wir arbeiten derzeit mit OEMs an verschiedenen Projekten, die das autonome und vernetzte Fahren in seiner Entwicklung beschleunigen. Das betrifft das Bereitstellen von Data Lakes, in denen die erfassten Daten gesammelt werden. Oder es geht darum, die Daten aus dem Auto gebündelt ins Rechenzentrum zu übertragen. Unsere Spezialisten sorgen zudem für die Multi-Cloud-Anbindung, die Entwickler benötigen. Außerdem umfasst unser Programm das Installieren von Objektspeichern für die Langzeitarchivierung der Daten, die selbstfahrende Fahrzeuge erzeugen. Das sind selbstorganisierte Archive, in denen Daten komprimiert und verteilt werden. So entstehen Plattformen, auf der neuronale Netze für das autonome Fahren trainiert werden.

Wozu dienen neuronale Netze?

Sie funktionieren über Deep-Learning-Algorithmen, treffen immer ausgereiftere Entscheidungen und steuern das Auto. Der Autofahrer wird zum Autonutzer, künstliche Intelligenz übernimmt das Kommando.

Wie trainiert man den Autos die Intelligenz an?

Die Hersteller trainieren die neuronalen Netze, indem sie Daten bei Testfahrten sammeln. Google spricht von 3,8 Millionen Kilometern, die seine Fahrzeuge absolviert haben. Ein autonomes Fahrzeug soll hierbei ein Gigabyte an Daten pro Sekunde erzeugen. Jeder Testkilometer auf der Lernstrecke zählt, denn pro Sekunde werden Unmengen an Videodaten in Echtzeit verarbeitet, nur um den Spurhalteassistenten zu berechnen. Autonome Fahrzeuge sind gewissermaßen Rechenzentren auf Rädern.

Von welchen Datenmengen sprechen wir?

Wenn ein Auto 1.000 unterschiedliche Objekte wie Ampel, Fußgänger, Pkw oder Motoradfahrer automatisch erkennen soll, muss ein neuronales Netzwerk ungefähr 10 Millionen Bilder verarbeiten. Pro Bild fallen rund acht Megabyte an, wodurch eine stattliche Summe von 80 Terabyte zusammenkommt.

Die Daten kommen alle in die Cloud?

Nein. Der entscheidende Punkt ist, dass die einzelnen IT- und Software-Komponenten im Auto, in der Cloud und im Rechenzentrum intelligent interagieren müssen. Für einen effizienten Datenfluss überträgt ein Fahrzeugsystem nur die Daten in die Cloud oder ins Rechenzentrum, die sich verändern. Die Abweichungen liefern den Stoff, neue Algorithmen zu berechnen, wobei lediglich das Ergebnis ins Auto zurückgespielt wird.

Welche Daten bleiben grundsätzlich im Auto?

Kameradaten zum Beispiel. Sie werden im Auto verarbeitet und führen dort zu Entscheidungen: Ein Auto bremst ab, beschleunigt oder weicht einem Hindernis aus. Das Übertragen dieser Daten in die Cloud ist nicht notwendig. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass ein Auto offline handeln können muss – auch wenn mal keine Mobilfunkverbindung besteht.

Wo genau steht die Entwicklung von autonomen Autos heute?

Die Systeme übernehmen zum Teil die komplette Steuerung, selbst beim Überholen und Ausweichen. Dennoch darf der Fahrer den Blick nicht von der Straße lassen, er muss jederzeit eingreifen können. Vor dem serienmäßigen Sprung auf die nächste Stufe, in der eine Aktion des Fahrers nicht mehr notwendig ist, bauen sich jedoch einige Hürden auf, etwa die Etablierung einheitlicher Standards. Nicht zuletzt steht der Gesetzgeber vor der Aufgabe, die Haftungsfragen zu regeln.

Wie sieht die Rechtsgrundlage für die Datennutzung aus?

Wer ein Auto mit intelligenten Systemen erwirbt, dem steht prinzipiell auch die Entscheidung zu, was mit seinen Daten passiert. Es gilt das Recht auf informelle Selbstbestimmung, was sich jedoch praktisch nicht so einfach durchsetzen lässt. Warum? Die Autohersteller anonymisieren die Daten, wodurch Fahrzeughalter und Fahrer ihr Auskunfts- und Interventionsrecht verlieren. Das Nutzen von anonymisierten Daten wird in Deutschland über die AGBs geregelt. Rechtlich gehören so die Daten den Fahrzeugherstellern, die daher in der Pole-Position sind, fahrzeugnahe Dienste zu entwickeln.

Worum geht es in erster Linie in diesem Datengeschäft?
Die Autohersteller stehen in Konkurrenz zu Zulieferern, IT-Konzernen und Startups. Allesamt wollen sie über das Managementsystem im Fahrzeug Services ins Auto bringen. Dieses hat zunächst den Bedarf nach Sicherheit und autonomeren Fahren zu bedienen, was Schnittstellen zu Zulieferern erfordert. Diese Unternehmen stellen Fahrassistenzsysteme, Infotainment und Mensch-Maschine-Schnittstellen bereit. Anderseits muss das Managementsystem im Auto auch den Zugang zu Smart Mobility Services realisieren.

Welche Rolle nehmen die Autohersteller in dem Wettbewerb ein?

Bisher fahren Autohersteller noch überwiegend die Strategie über digitale Angebote, wie die iPhone-Anbindung, den Listenpreis für ihre Autos zu verteidigen. Langfristig lautet ihr Ziel, die vom Fahrer eingefahrenen Daten selbst in Zusatzgeschäft umzumünzen. Einige Autohersteller hoffen, mit Daten vor allem im Aftermarket-Geschäft erheblichen Umsatz zu erzielen. Der Wettbewerb schläft nicht, wie die „pay as you drive“-Angebote der Autoversicherer zeigen. Auch Reifenhersteller und Werkstätten interessieren Daten, die die Fahrweise ihre Kunden dokumentieren. Denn damit können sie Angebote individualisieren. So ließe sich der optimale Zeitpunkt für ein Serviceintervall aus dem Nutzerprofil ableiten.

Die Autohersteller bieten doch schon alle Apps an. Reicht das nicht?

Natürlich haben die Autokonzerne den Softwaretrend erkannt. Das Ergebnis sind Plattformen und Apps, in denen deutsche Automarken ihre digitalen Angebote bündeln. In der Regel handelt es sich um einen Mix aus Fahrzeugstatusanzeige, Wartungsinformationen in Echtzeit, Funktionsteuerung im Auto, ortsbezogene Empfehlungen, dynamische Verkehrsprognosen und Unterhaltung. Nur die Frage ist doch: Verdienen die Autohersteller damit zusätzlich Geld? Der dafür notwendige Zusatzservice erlebt im Abomodell jetzt erste Anfänge. So gehört zum Kauf eines Audis eine Lizenz für das Navigationssystem, die Updates über die Cloud für drei Jahre garantiert. Nach Ablauf dieser Frist muss der Autohalter den Subscription Service wieder aktualisieren. Ansonsten muss er Einschränkungen bei Verkehrsinformationen und Kartendetails in Echtzeit in Kauf nehmen.

Ihre Erfolgsformel für digitale Dienste lautet?

Aus den im Auto produzierten Daten lässt sich in vielerlei Hinsicht ein realer Nutzen herauslesen, der Fahrer überzeugen kann. Daraus müssen Automobilhersteller Geschäftsmodelle entwickeln, die sich nur mit einer offenen, flexiblen IT-Architektur und einem effizienten Datenmanagement zügig umsetzen lassen. Beherzigt die Autoindustrie das, kann sie auch in diesem Wettbewerbsfeld vornewegfahren.

Dr. Stefan Ebener, NetAppDr. Stefan Ebener ist  Strategy & Innovation Manager Automotive bei NetApp.

www.netapp.com

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